Endstation Hunger -
Energiedefizit in der Landwirtschaft
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Dieser Artikel aus 1982 berichtet über die Probleme der industriellen Landwirtschaft. Verschiedene Skandale in westeuropäischen Ländern, sowie die notorisch schändlichen Tierhaltungspraxis in den Tierfabriken vieler Länder, deuten auf eine unveränderte Problematik.
Das Energiedefizit der Nahrungsmittelproduktion scheint uns der wichtigste Aspekt des Artikels .
Nach dem Ölfördermaximum, auf dem wir uns seit 2005 befinden, müssen wir mit weniger Energie auskommen.
Die Folgen können wir uns ausmalen, wenn wir bedenken, dass es für fossile Energien keinen gleichwertigen Ersatz gibt, weder mengenmässig noch in der Anwendungsvielfalt.
Hunger 2011
World Energy Outlook 2010
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"Energie -
Endstation Hunger" 
Noch vor ein paar Jahrzehnten produzierte die Landwirtschaft mehr Energie,
als sie verbrauchte. Der Fleischhunger und das absurde Theater der
EG-Agrarpolitik haben die Landwirtschaft ins Energie-Defizit
getrieben. Die Verschwendungs-Spirale dreht sich immer schneller.
Am Ende steht der Hunger.
Von Gerd Schuster
Verschwendung war nie eine bäuerliche Tugend. Die Bauern spannten ihre Pferde vor den Pflug, ackerten und säten, wie es ihnen ihr Verständnis von der Natur vorschrieb, arbeiteten sich den Rücken krumm und die Hande schartig und hofften auf Gottes Segen für eine gute Ernte. An Verschwendung war nicht zu denken.
Das war noch vor ein paar Jahrzehnten. Seitdem hat sich viel geändert: Aus Ackersmännern wurden in Westeuropa und Nordamerika überwiegend Manager von Zulieferbetrieben für eine aufgeblähte und verschwenderische Lebensmittelindustrie. Vielfach ohne eigenes Verschulden entwickelten sich die Bauern zu mehr oder weniger verstörten Zauberlehrlingen in der verführerischen Wunderwelt der Agrochemie oder zu injektionsgewandten Pflegern kasernierter Schnellwuchsschweine mit Extrarippchen, Vierfachschinken und Multineurosen. Aus unabhängigen Landmännern wurden von vielfachen Abhängigkeiten gebeutelte Überschußproduzenten und Subventionsempfänger.
Monokulturen, Massentierhaltung, Mechanisierung, Düngergroßeinsatz sowie Herbizid-, Fungizid- und Insektizid-Regen machten sich für die Industriebauern bezahlt: Ihre Arbeitslast verringerte sich, ihre Erträge stiegen. Während die deutschen Bauern 1925 pro Hektar Anbaufläche zwei
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Tonnen Weizen ernteten, waren es 1981 schon mehr als fünf Tonnen. Der Zuckerrübenertrag stieg im gleichen Zeitraum von 28 auf 50 Tonnen, und statt vier Tonnen Wiesenheu können die Landwirte heute acht Tonnen oder mehr einfahren.
Die Ertragsexplosion wird noch offensichtlicher, wenn man die Erträge des Jahres 1880 mit den heutigen Ernten vergleicht: In der Pionierzeit der Mineraldüngung trugen die Äcker lediglich eine Tonne Weizen oder acht Tonnen Kartoffeln pro Hektar. Während sich der Weizenertrag bis heute verfünffacht hat, stieg die durchschnittliche Kartoffelernte um das Vierfache auf 32 Tonnen.
Gleichzeitig verlagerte sich die Energiebasis der Landwirtschaft: 1880 erbrachte die Muskelkraft der bäuerlichen Familie und ihrer Zugtiere noch mehr als 90 Prozent der in die Ackerbestellung investierten Energie. Eingeführte Futtermittel kamen nur für zwei Prozent auf, und Mineraldünger schlug mit zaghaften 1,3 Prozent zu Buche.
1935 - 55 Jahre spater - hatte sich noch nicht allzu viel geändert: Arbeit von Mensch und Tier lieferte knapp 80 Prozent des Energieeinsatzes, Mineraldünger 15 Prozent.
Die Abhangigkeit der Landwirtschaft von Fremdenergie, die sich 1935 andeutete, ist heute perfekt: Treibstoffe, Strom und
Heizöl stellen mehr als 50 Prozent, Mineraldünger und eingeführte Futtermittel über 40 Prozent der Energiebasis. Menschliche Arbeit steuert nur noch wenige Prozent bei, kaum mehr als chemische Pflanzenschutzmittel, während tierische Arbeit, die 1880 noch für 60 Prozent der Arbeitsenergie aufkam, zu einer statistisch unbedeutenden Große geworden ist.

Nichts geht mehr ohne Fremdenergie 
Mit anderen Worten: Die Energiewende in der Landwirtschaft bescherte den "modernen" Bauern vervielfachte Erträge bei reduzierter Arbeitslast - beides war aufgrund stark veränderter sozialer Bedingungen nötig - machte sie aber in extremem Maße von Fremdenergie aus versiegenden und vielfach krisenbedrohten Quellen abhängig.
Ein zur vierbeinigen Milchproduktionsanlage verfremdetes Rind beansprucht pro Jahr bis zu 600 Kilowattstunden (kWh) Strom, unter anderem für - auf der Weide kostenlose - Leistungen wie Lüftung, Beleuchtung und Fütterung sowie für Milchkühlung, bei der sich durch Warmepumpeneinsatz Energie gewinnen ließe. Eine steckdosenabhängige Zuchtsau, deren Ferkel mit Infrarotlampen gewärmt sein wollen, braucht pro Jahr 500 kWh. In sogenannten Veredelungsbetrieben mit ein paar Hundert der neuesten Schweinemodelle kommen leicht einige Hunderttausend kWh zusammen
Auch das andere Lager der modernen Agrarspezialisten, die viehlosen Getreidefabriken, ist fremdenergiehörig: Die Körnermaistrocknung beispielsweise verschlingt bei einer Erntefeuchte von 45 Prozent rund 500 Liter Heizöl pro Hektarertrag, verschiedene Heutrocknungsverfahren das Dreifache.
Die Explosion der deutschen Hektarerträge zwischen 1880 und 1980 bedurfte energieintensiver Nachhilfe: In dieser Zeit nahm der Verbrauch von industriell hergestelltem Stickstoffdünger um das 150fache zu. Der Absatz von Kalidünger stieg um das 110fache, der von Phosphaten um das 70fache. lm Wirtschaftsjahr 1979/80 verbrauchte die bundesdeutsche Landwirtschaft Industriedünger mit einem Nährstoffgehalt von 1,5 Millionen Tonnen Stickstoff, 1,4 Millionen Tonnen Kalk, 1,2 Millionen Tonnen Kali und 900000 Tonnen Phosphat. Das bedeutet, daß jeder Hektar Anbauflache im Schnitt mit ungefähr acht Zentnern Kunstdünger beregnet wurde.
Die Abhangigkeit wird immer größer
Dabei wird es nicht bleiben: Neues Hochleistungsgetreide, das nach Schätzung der Detmolder Bundesforschungsanstalt für Getreide- und Kartoffelverarbeitung in 20 Jahren bis zu 30 Prozent mehr Ertrag bringen kann, wird einen entsprechenden Düngerzuschlag benötigen, von zusätzlichen agrochemischen Vorbeuge- und Pflegemaßnahmen nicht zu reden.
Mehr Handelsdünger bedeutet aber mehr Fremdenergie: Allein für Herstellung und Verteilung einer Tonne Stickstoffdünger sind rund 22000 kWh Energie erforderlich; für die 1979/80 verbrauchten 1,5 Millionen Tonnen mithin 33 Milliarden kWh - zu einem Großteil in Form fossiler Brennstoffe wie Erdgas, Öl und Rohbenzin, aus denen unter hohem Druck und bei hohen Temperaturen das Stickstoffgas synthetisiert wird.
Alles in allem verschlang die Handelsdüngerproduktion mehr Energie, als alle deutschen Kernkraftwerke lieferten.
Den Superpflanzen der zweiten Halfte des 20. Jahrhunderts mangelt es zwar nicht an Produktivität und gesundem Nährstoffhunger; dafür fehlt ihnen aber die Widerstandskraft ihrer biederen Vorfahren. Doch auch hier wußte die chemische Industrie Rat. Während sie Kunstdünger produzierte, der in hoher Dosierung die Anfälligkeit von Kulturpflanzen für Schädlinge erhöhen kann, überschüttete sie aus ihrem Füllhorn Landwirte und Gärtner mit rund 1600 Praparaten, die sie in routinierter Zurückhaltung "Pflanzenbehandlungsmittel" taufte: mit Herbiziden (mit denen Pflanzen, die das Mißgeschick haben, als "Unkräuter" eingestuft worden zu sein, zu Tode "behandelt" werden), mit pilztötenden Fungiziden, insektentötenden Insektiziden, milbentötenden Akariziden, fadenwürmertötenden Nematiziden, schneckentötenden Molluskiziden, nagetiertötenden Rodentiziden, sonstigen Pestiziden, Wildverbißmitteln, Saatgutbehandlungsmitteln, Keimhemmungsmitteln, Wachstumsreglern und weiteren Zusatzstoffen.
Die Mittel erwiesen sich als ähnlich gutes Geschäft wie Kunstdünger: 1981 produzierte die chemische Industrie der Bundesrepublik rund 200 000 Tonnen Pflanzenschutz- und Schädlingsbekampfungsmittel. Davon kamen über 30 000 Tonnen im Bundesgebiet zum Einsatz - ein halbes Kilo pro Einwohner. Nach dem Umweltgutachten 1978 wurden rund 30 Prozent der Gesamtfläche der Bundesrepublik - also ungefahr 75 000 Quadratkilometer - mit Pflanzenschutzmitteln eingedeckt.
Etwa 85 Prozent der Ackerfläche kamen
in den Genuß der dem Gutachten zufolge "nach ihren maglichen ökologischen Auswirkungen besonders bedenklichen" Herbizide - mit rund 60 Prozent Anteil am Gesamtabsatz die großen Verkaufsrenner vor den Fungiziden (rund 20 Prozent) und den Insektiziden (etwa zehn Prozent).
Der beinahe raubtierhafte Fleischhunger der Bundesbürger und ihr an Wintergemüse und andere energiezehrende Leckereien gewohnter Wohlstandsgaumen haben eine groteske Verschwendungsorgie in Gang gesetzt,
die die Gefahr des Zusammenbruchs der industrialisierten Landwirtschaft
birgt.
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Die energieintensive chemische Komplettbehandlung für Getreide, Obst und Gemüse umfaßt vielfach Dutzende von Spritzungen mit unterschiedlichen Mitteln. Die Folgen des chemischen und mechanischen Großangriffs auf natürliche Kreisläufe und empfindliche Beziehungssysteme sind so zahlreich wie die Einwirkungen: Rund 30 Prozent der Blütenpflanzen stehen als verschollene und gefährdete Arten auf der "Roten Liste", dazu mehr als die Hälfte der Kriechtiere, Lurche, Vögel sowie Heere von Insekten.
Wie grobschlächtig die agrochemische Keule wirkt, beweisen zahlreiche ökologische und auch ökonomische Teufelskreise und Kettenreaktionen, zu denen es nach Ausbringung von Handelsdünger und Bioziden kommen kann. Eine Agrochemikalie bedingt oft die Anwendung einer anderen, diese macht wiederum ein drittes Mittel nötig und so weiter. Die Zahl resistenter Schädlinge nimmt lawinenartig zu.
Fremdenergie: Gift für die Energiebilanz
Die chemische Industrie sieht keinen Grund zur Besorgnis. Ganz im Gegenteil: Nach Auffassung der BASF geht es Böden, Bodenbakterien und Ackerunkräutern bestens. Und überhaupt: Die Agrochemikalien sind bei "sachgerechter Anwendung" völlig harmlos. Eine im Umweltgutachten 1978 veröffentlichte Untersuchung nimmt diesem Allzweck-Alibi den Glanz: ein Viertel der befragten Landwirte konnte mit dem Begriff "Fungizid" nichts anfangen, und 47 Prozent verstanden nicht, was mit "Wartezeit" (die zur Vermeidung von Vergiftungen wichtige Zeitspanne zwischen letzter Spritzung und Ernte) gemeint war.
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Die Produktion der in der Bundesrepublik verwendeten Pflanzenschutzmittel verschlang 1981 schätzungsweise 500 Millionen kWh. Dies generell mit Energieverschwendung gleichzusetzen, wäre unrichtig: Trotz hoher Dünger- und Chemikaliengaben ist die Energiebilanz im Pflanzenbau meistens positiv; das heißt, der Mehrertrag birgt ein Vielfaches der investierten Energie. Bei der Erstellung der Energiebilanzen - die mit Vorsicht zu genießen sind, da sie sich oft um enorme Faktoren unterscheiden - werden aber vielfach mögliche Folgekosten der industrialisierten Landwirtschaft außer acht gelassen. Der amerikanische Agrarforscher David Pimentel errechnete beispielsweise, daß zur Reparatur von Schäden durch Bodenerosion pro Hektar rund 550 kWh Energie aus fossilen Quellen nötig sein können. Der Humusverlust wird durch Monokulturen, Entfernung von Hecken und Zerstörung der natürlichen Bodenstabilität durch Großmaschinen und starke Mineraldüngung begünstigt. Humusverlust macht aber noch höhere Düngergaben nötig, die erneut die Bodenstabilitat verringern - ein neuer Teufelskreis beginnt sich zu drehen.
Dem Ertragszuwachs durch Mineraldünger sind aber Grenzen gesetzt: Bei steigender Höhe muß ein Ertragsplus durch immer größere Düngeraufwendungen erkauft werden. Dadurch sinkt die Energieausbeute. Pimentel berechnete beispielsweise, daß zwischen 1945 und 1970 im amerikanischen Maisbau das Verhältnis von aufgewendeter technischer Energie zu erzeugter biologischer Energie von 1:3,7 auf 1:2,8 zurückging - sich also um rund 25 Prozent verschlechterte. Der Grund: Einer Steigerung des Verbrauchs von Stickstoffdünger um das 16fache stand ein nur 2,4facher Ertragszuwachs gegenüber.
Im deutschen Getreidebau war es ähnlich: Eine Ertragssteigerung um die Hälfte
erforderte zwischen 1950 und 1972 eine Verdreifachung der Stickstoffdüngermenge. Suchtsymptome? Alles in allem ist die Energiebilanz im industrialisierten Getreidebau positiv. Die Gesamtenergiebilanz der Landwirtschaft in den Industrieländern ist nach Auffassung kritischer Experten jedoch negativ; das heißt, sie verbraucht mehr technische Energie, als sie an biologischer Energie (in Nahrungsmitteln) liefert. Andere Wissenschaftler, darunter Professor Heinz-Lothar Wenner von der TU München, billigen der Landwirtschaft eine Energiebilanz von etwa 2:1 zu.
Schweinemast ist wichtiger als Hungerhilfe
Am Energiedefizit ist vor allem der überhöhte Fleischkonsum der wohlstandsgewöhnten Verbraucher schuld. Zur Produktion von Fließbandhühnern, Großserienrindern und Industrieschweinen wird zum großen Teil das so aufwendig hergestellte Getreide verwendet.
[Bildunterschrift: Ein Labyrinth von Abhangigkeiten
Der intensive Landbau, der sich "konventionell" nennen läßt, wird von Abhängigkeiten gebeutelt. Mehr Ertrag (Mitte) wird durch Einsatz von Bioziden, Industriedünger und Maschinen (links) erkauft. Das führt zur Zunahme von Monokulturen und zum Verschwinden von Feuchtgebieten und Feldgehölzen (rechts). Agrochemie, Dünger und Maschinen kosten Geld, ebenso das Trockenlegen von Feuchtgebieten und die Einebnung der Landschaft. Höhere Kosten (oben) müssen durch höhere Erträge aufgefangen werden, die wiederum durch mehr Herbizide, Fungizide und Insektizide sowie durch Erschließung neuer Gebiete für den Ackerbau erkauft werden. Die Folge: das natürliche Kreislaufsystem geht zu Bruch (unten).]
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Obwohl Vieh unter Energiegewinn für Menschen unverdauliche Pflanzen in Fleisch und Milch umwandeln kann, ist es als Verwerter von Edelfutter wie Getreide denkbar ungeeignet:
Jede Energieeinheit im Rindfleisch muß mit rund zehn Weizenenergieeinheiten teuer erkauft werden. Bei der Erzeugung von Hühnerfleisch ist die Relation zwischen Aufwand und Nutzen sogar nur zwolf zu eins; elf von zwolf verfütterten Getreidekalorien gehen verloren. Ebenfalls von mangelhafter Energieausnutzung zeugt das Verhaltnis zwischen investierter und produzierter Energie bei der Produktion von Mi1ch (5:1), Eiern (4:1) und Schweinefleisch (3:1). Von Extremfallen einmal abgesehen - industrieller Rinderintensivmast, bei der rund 80 Kalorien Fremdenergie für eine einzige Fleischkalorie verpulvert werden - kostet eine Kalorie tierische Nahrung im Durchschnitt sieben Getreidekalorien fossilen Ursprungs. Wird aus dem Getreide Brot gebacken, beträgt das Verhaltnis 1:1. Anders ausgedrückt: Von dem Getreide, das in Form von Brot 100 Menschen ernähren würde, konnen auf dem verlustreichen Umweg über Hühnerfleisch nur acht Menschen leben. Trotzdem geht die ungeheure Verschwendung in den großen "Veredelungsbetrieben" - wo eigentlich nur der Kontostand des Besitzers "veredelt" wird - munter weiter: Im Wirtschaftsjahr 1979/80 wurden in der Bundesrepublik 26,4 Millionen Tonnen Getreide verbraucht. 16,5 Millionen Tonnen (62,5 Prozent) wanderten in Viehtröge. ln den USA sind es sogar knapp 90 Prozent, in den Entwicklungsländern dagegen nur zehn Prozent.
6,5 Millionen Tonnen entsprechen drei Vierteln der Inlandsgetreideproduktion von 23 Millionen Tonnen. Ein Vergleich: Als deutscher Beitrag zum Intemationalen Nahrungsmittelhilfeabkommen wurden
1979 147 800 Tonnen Getreide unentgeltlich in Entwicklungsländer geliefert - knapp 0,9 Prozent der ans Vieh verfütterten Menge.
Soja und Getreide: Perlen vor die Saue
Zur Sättigung der unterernährten Menschen, von denen es Hunderte von Millionen gibt, trugen diese Almosen der Wohlstandsbürger nicht bei. Ganz im Gegenteil: Die Verschwendungsorgie der Wohlstandsbürger bedarf zu ihrem Gelingen großer Mengen von Grundnahrungsmitteln aus Ländern der Dritten Welt. Die Freßlust der einen verschlimmert den Hunger der anderen. Mit dem importierten Viehfutter, das in der Europaischen Gemeinschaft und auch anderswo teilweise lastige Überschüsse erzeugen hilft, könnten Millionen Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner vor dem qualvollen Hungertod bewahrt werden.
Im Wirtschaftsjahr 1979/80 wurden in der Bundesrepublik 26,4 Millionen Tonnen Getreide verbraucht, Importe eingeschlossen. Davon wanderten 16,5 Millionen Tonnen (62,5 Prozent) ln Viehtröge. Der deutsche Beitrag zum Internationalen Nahrungsmittelhilfe-Abkommen: 147 800 Tonnen - nicht einmal der hundertste Teil. |
Im Jahre 1980 führte die Bundesrepublik rund vier Millionen Tonnen Sojabohnen ein, die zum großten Teil in Viehtrögen endeten. Den Sauen wurden damit pflanzliche Perlen vorgeworfen: Die Sojabohne ist namlich eine überaus hochwertige Nahrungspflanze, die nur bescheidene Ansprüche an Boden und Düngung stellt, deren Früchter aber 40 Prozent Eiweiß (darunter alle essentiellen Aminosäuren), 20 Prozent Kohlehydrate und ebensoviel Öl enthalten. Ein Kilo Sojabohnen liefert soviel Protein wie drei Kilo Schweine- oder Rindfleisch. Aber sie werden ans Vieh verfüttert. Auf die Fischzucht übertragen hieße das etwa, Forellen mit Raucherlachs zu masten. Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Obwohl Sojabohnen eine ideale Kraftnahrung für Hungernde sind - die fast immer an Eiweißmangelleiden -, werden nur etwa fünf Prozent der Welternte von rund 90 Millionen Tonnen direkt für die menschliche Ernährung verwendet.
Der Grund: Für die Schweine in den Industrieländern ist mehr Geld da als für die Armen in der Dritten Welt. Eine für die Mittellosen besonders bittere Konsequenz aus dieser Tatsache ist, daß sie - praktisch in direkter Nahrungskonkurrenz mit den westlichen Schweinen - oftmals höhere Preise für Sojaöl bezahlen müssen. Auch das Stärkemehl Tapioka, aus der Maniok-Wurzelknolle gewonnenes Nahrungsmittel für die Ärmsten, wird als schnitzelstärkende Mischfutterkomponente importiert. 1981 führte die Bundesrepublik rund eine Million Tonnen Tapioka ein.
Als die Fischgründe in der Nordsee noch nicht leergefischt waren und billiges Öl Nachdenken überflüssig erscheinen ließ, sorgte Fischmehl für Eiweißnachschub im
Futtertrog - ein Schulbeispiel für gelungene Energie- und Ressourcenvergeudung: Etwa 200 auf dem Fischdampfer verfeuerte Kalorien stellten eine einzige Schweinefleischkalorie auf die Haxen. 1980 importierte die Bundesrepublik noch über 200 000 Tonnen Fischmehl.
Verschwendungsorgien für Übersatte
Jeder Bundesbürger verzehrte 1980 im Durchschnitt 90,6 Kilo Fleisch - pro Tag ein halbes Pfund. Der Wert für die Enwicklungsländer: rund 3,5 Kilo pro Jahr - täglich neun Gramm. Nach Angaben der Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der UN (FAO) beträgt der tägliche Proteinbedarf sieben Gramm, was etwa 25 Gramm Fleisch entspricht.
In durch Getreide-"Veredelung" produziertem Fleisch steckt dermaßen viel Energie, daß es nicht verwundem dürfte, wenn es vom Teller springen würde: Nach einer Schätzung der Schweizerischen Energiestiftung muß in eine Tonne Fleisch heute so viel Primarenergie investiert werden wie in drei ausgewachsene Autos - der Energiegehalt von rund 14 Tonnen Steinkohle. Das entspricht 115 000 kWh! Wäre es moglich, die für ein 200 Grarnm schweres Steak verbrauchte Energie verlustlos freizusetzen, konnte man sich damit 70 Minuten lang mit Warmwasser aus dem Durchlauferhitzer eindecken oder 75 Tage lang ununterbrochen rasieren.
Nicht nur die industrielle Fleischproduktion ist mit grotesker Energieverschwendung verbunden: Bratkartoffeln aus der Tiefkühltruhe müssen vorgebraten, tiefgefroren, gekühlt und dann wieder gebraten werden. In Herstellung, Transport, Verteilung und Zubereitung von Konservenkost steckt oft das Dutzendfache der Nahrungsenergie in der Büchse. Bei Gewächshausgemüse ist das Verhaltnis zwischen investierter Primarenergie und Energieerlös oft noch 50mal schlechter. Der Grund: An einem einzigen Blatt Winterkopfsalat kleben schätzungsweise zehn Gramm Heizol.
Deutsche Wintertomaten: Hochmut vor dem Fall?
In der Bundesrepublik gab es im Jahre 1980 Treibhauser mit einer Gesamtanbaufläche von über 34 Millionen Quadratmetern, Blumenkulturen eingeschlossen. Das entspricht etwa 4600 Fußballplatzen. Der jahrliche Heizöldurst: 1300 Millionen Liter. Auf den 13,3 Millionen Quadratmetern Gemüse-Gewachshausfläche wuchsen rund 73 000 Tonnen energieintensive Marktware, darunter 8100 Tonnen Kopfsalat und 18 300 Tonnen fader Tomaten, drei Viertel der Gesamternte.
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In den Industrieländern kostet eine Einheit Nahrungsmittelenergie auf dem Speiseteller heute im Schnitt zehn Einheiten fossiler Energie - ein außerst ungesundes Verhältnis. ln China dagegen bringt eine in den Reisanbau gesteckte Energieeinheit zwanzig- bis vierzigfachen Nutzen.
Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die Nahrungsmittelindustrien Europas und Nordamerikas einen wahrhaft monströsen Hunger nach Energie aus versiegenden Quellen entwickelt. Die galoppierende Energieverschwendung in einem Bereich, der eigentlich erneuerbare Energie produzieren sollte, birgt nach Auffassung des Wiener Energieforschers Cesare Marchetti die Gefahr des Zusammenbruchs der Landwirtschaft in den Industrieländern.
Trotz ihrer negativen Energiebilanz verbraucht die deutsche Landwirtschaft nur etwas mehr als ein Fünftel des Gesamtenergiekonsums im Nahrungsmittelsektor. Jeweils knapp zwei Fünftel werden für Bearbeitung, Verpackung und Transport sowie Lagerung und Zubereitung aufgewendet. Die Landwirtschaft hat damit einen Anteil von vier bis fünf Prozent am bundesdeutschen Primarenergieverbrauch; der
gesamte Lebensmittelbereich nimmt etwa 20 Prozent in Anspruch.
Die Veredelung bis zum Geht-nicht-mehr rückt damit in den Bereich des Möglichen: Würden alle Länder der Erde sich eine Defizitlandwirtschaft nach amerikanischem oder bundesdeutschem V orbild leisten, waren die fossilen Energievorräte in ein paar Jahren verbraucht.
EG-Markt: Absurdes Theater
Die Bundesregierung tut das Ihre, daß die groteske Energieverschwendung weitergeht wie gehabt: Obwohl der Agrarmarkt der Europaischen Gemeinschaft (EG), einst in löblicher Absicht gegründet, zum milliardenverschlingenden Moloch geworden ist und aus allen finanziellen und wirtschaftlichen Nähten platzt, wird die verschwenderische Überproduktion von Nahrungsmitteln und ihre anschließende Vergeudung weiter unterstützt. Trotz Wein-Meer, Milchpulver-Matterhorn, Butter-Gebirge, Fleischbergen und Weizen-, Zucker-, Obst- und Gemüsehalden werden die Landwirte weiter zur Überproduktion
angetrieben. Warmer Subventionsregen, großzügige Garantiepreise, Investitionshilfen, Zinsverbilligung und Kredite sorgen dafür, daß die Bauern weiter kräftig und energieintensiv am Bedarf vorbeiproduzieren. Hochsubventionierte Agrarprodukte werden unter zusätzlichem Finanzaufwand wieder heruntersubventioniert, um im Ausland in einer Art permanentem Räumungsausverkauf verschleudert zu werden. Importiertes wird wieder exportiert, und hochwertige Lebensmittel werden systematisch und unter gewaltigen Kosten zu Minderwertigem verarbeitet. Das beschämende Affentheater kostet Unmengen von Energie.
[Bildunterschrift: Der natürliche Kreislauf blieb auf der Strecke
Nahrstoffkreislauf alt und neu: Im natürlichen Kreislauf (links) liefern von der Sonne mit Energie versorgte Mischkulturen Nahrung für Mensch und Tier, Organische Abfälle werden dem Boden direkt oder auf dem Umweg über Fäkalien wieder zugeführt und dort von Klein- und Kleinstlebewesen zu pflanzlichen Nahrstoffen aufbereitet, die zusammen mit natürlichen Mineralstoffen für Fruchtbarkeit sorgen.
Der "moderne" Kreislauf (rechts) ist kein Kreislauf mehr: Energie aus Übersee und dem Kraftwerk (für Kunstdünger und Agrochemie) sorgt zusammen mit der Sonne für Wachstum. Der organische Abfall wandert auf den Müll und in die Kanalisation. Nur ein geringer Teil gelangt wieder in den Boden, wo das Leben durch Dünger und Chemie sehr verarmt ist. Ohne Fremdenergie geht nichts mehr.]
Beispiel Magermilchpulver: Früher, als es im Agrar-Europa noch vernünftig zuging, erhielten die Bauern von der Mollkerei, die ihre Vollmilch zu Butter verarbeitete, die Magermilch zurück - wertvolles Viehfutter. Dann griffen die EG-Bürokraten, die bereits an der Errichtung des Butterberges arbeiteten, in den altbewahrten Kreislauf ein. Die Folge: Die Milch wur 1974 derart verteuert, daß die Rücknahme der Magermileh für die Bauern nicht mehr attraktiv war. [38] Die Magermilchfluten schaffte sich die Gemeinschaft in gewohnt aufwendiger Weise vom Hals: Sie trocknete sie. Bei rund 180 Grad schrumpfen elf Liter Magermilch in "Sprühtürmen" zu einem Kilo Magermilchpu1ver. Pro Liter Milch sind für die Trocknung etwa 50 Kubikzentimeter Ö nötig. Für die Eindickung eines Magermilchmeeres von über 20 Milliarden Litern wurde allein 1978 in der EG rund eine Milliarde Liter Ö verpulvert.
Auf bizarren, energieaufwendigen und Milliarden Mark kostenden Umwegen erreicht der größte Teil des Magermilchpulver-Massivs - im Sommer 1976 umfaßte es stolze 1,4 Millionen Tonnen - das ursprüngliche Ziel der Magermilch: den Kälbertrog; als Futtermittelzusatz oder als Pulver, das mit warmem Wasser wieder zu Milch angerührt werden muß. Die Folge: Die EG-Milchintervention kostet rund 1,5 Millionen Mark pro Stunde.
Beispiel Butter: Im Herbst 1979 füllten 540 000 Tonnen Butter die EG-Lagerhäuser. Lagerung und Herunterkühlen von 500 000 Tonnen Milchfett kosten pro Jahr mehr als eine Milliarde kWh. Verschleuderungsaktionen im Ausland kosten zusätzlich viele Milliarden Mark. Trotzdem wird sich die Milchproduktion der EG nach Schätzung der Bonner Marktforscher Professor Rudolf-Ernst Wolffram und Dr. Heinrich Hantelmann zwischen 1981 und 1986 um sechs Millionen Tonnen auf 110 Millionen erhöhen. Mehrkosten für den EG-Agrarhaushalt: 70 Milliarden Mark.
Beispiel Wein: 1981 wurden in der EG unglaubliche 1700 Millionen Liter Wein "verspritet", das heißt, im Verhältnis elf zu eins unter großen Energieverlusten zu Alkohol verkocht. Zur Destillation von 150 Millionen Litern Alkohol - der industriell zu einem Bruchteil der Kosten erzeugt werden kann - gingen rund 115 Millionen Liter Öl in F1ammen auf.
Beispiel Obst und Gemüse: 1980 wurde über eine Million Tonnen einwandfreier Äpfel, Birnen, Tomaten, Pfirsiche und Apfelsinen "interveniert", wie es auf EG-Chinesisch für "vom Markt genommen" heißt. 360 000 Tonnen wurden verfüttert, 270 000 Tonnen in Alkohol verwandelt und 60 000 Tonnen an Schulen und Altersheime abgegeben. 340 000 Tonnen oder 33 Prozent verfaulten auf Müllkippen.
Überschüsse in der EG - Hunger in der Dritten Welt
Obwohl der Agrarmarkt der EG aus allen finanziellen und wirtschaftlichen Nähten platzt, hat die ÜberproduktiQn von Lebensmitteln und
ihre anschließende Vergeudung weiterhin den offiziellen Segen. Trotz Wein-Meer, Mllchpulver-Matterhorn, Butter-Gebirge, Fleischbergen, Weizen-, Zucker-, Obst- und Gemüsehalden werden die Bauern weiter zur Überproduktion angetrieben.
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Nach Mitteilung des Bundes1andwirtschaftsministeriums betragen die EG-Überschüsse derzeit jeweils 400 000 Tonnen Butter und Magermilchpulver. ln der Gemeinschaft liegen 200 000 Tonnen Butter, 280 000 Tonnen Milcheiweiß und 200 000 Tonnen Rindfleisch auf Halde. Wie sagte Minister Josef Ertl Ende 1979 in einem Zeitschrifteninterview? "Aber wenn Benzin mal 1,20 bis 1,30 Mark kostet, werden die agrarischen Energiequellen interessant, und unsere Überschüsse werden verschwinden."
Ertls Ministerium wies ausdrücklich darauf hin, daB die Überschüsse bei Rindfleisch und Milch (der "Selbstversorgungsgrad" der Bundesrepublik bei Magermilchpulver betragt 244 Prozent, bei Butter 132 Prozent und bei Rind- und Kalbfleisch 106 Prozent) "wesentlich auf die Importe von Futtermitteln aus Drittländern zurückzuführen" seien.
Teilweise ist das richtig: Zwar ist die Überproduktion vor allem auf politisch inszenierte Wirtschaftsanreize zurückzuführen; die Futtermitteleinfuhren, für die die deutschen Bauern mehr Geld aufwenden als für Mineraldünger, sind nur eine Konsequenz der Impulse aus Bonn und Brüssel.
Durch den Futtermittelexport geraten Entwicklungsländer vielfach in einen Teufelskreis des Hungers: Ihre Getreide-, Soja- oder Tapioka-Ausfuhren auf Kosten der Armen erzeugen in der EG, dem überhitzten Treibhaus des Agrarprotektionismus, Überschüsse. (Allein die französischen Agrarüberschüsse hatten 1980 fast 14 Millionen Menschen ernähren kônnen.) Die lästigen Lebensmittel von der Halde werden mit Hilfe von Subventionen so billig auf den Weltmarkt geworfen, daß die ärmsten Länder dort kaum noch Absatzchancen für ihre Produkte haben. Ein Beispiel für diesen makabren Verdrängungsmechanismus ist der Zuckermarkt.
Jeder Kilometer des grotesken Irrwegs der Lebensmittel im Labyrinth des Weltmarkts ist mit großen Mengen vergeudeter fossiler Energie gepflastert, jede Tonne Überschußware mit einer Verstärkung der Abhängigkeit von Futtermittel- und Energieimporten, sowie einer Steigerung der Chemikalien- und Mineraldüngersucht der industriell genutzten Ackerböden verbunden.
Ohne Kurswechsel: Übersatt bis übermorgen
Die Defizitlandwirtschaft hat keine Zukunft. Daran kann auch die chemische Industrie nichts ändern, die - auf ihr Informations- und Forschungsmonopol gestützt - den ökologischen Landbau als Eigenbrötlerhobby abtut.
Zahlreiche Vergleiche haben gezeigt, daß der ökologische Landbau bei erheblich weniger Fremdenergieverbrauch überwiegend vergleichbare oder geringfügig reduzierte Erträge bringen kann, bei der Milchleistung keinen Vergleich zu scheuen braucht und gesünderes Vieh hat. Seine ökonomische Basis ist gesichert. (Siehe dazu auch die Nullnummer sowie die Hefte 6/81 und 9/81 von natur.)
Das Bild wäre sicher noch erheblich günstiger, wenn für die Bauern, die mit der Natur anstatt gegen sie arbeiten wollen, die organische und industrielle Dünger sowie Schädlingsbekämpfungsmittel unter ökologischen Gesichtspunkten einsetzen und nicht nach dem Gießkannenprinzip, so viel wissenschaftliche Kapazität zur Verfügung stünde wie für die "nüchternen Agrarpraktiker" der BASF-Schule. Neue, auf die Bedürfnisse der "Alternativen" zugeschnittene Pflanzensorten und "natürliche Pestizide" auf der Basis der von den Chemiekonzernen jahrzehntelang hochmütig ignorierten pflanzeneigenen Abwehrstoffe könnten neue Dimensionen eröffnen.
Die Westeuropa und den USA in Fleisch und Brot übergegangene Verschwendungsorgie könnte namlich urplötzlich zu Ende sein: Infolge der durch Überproduktion zusatzlich verstärkten hohen Abhängigkeit von Importen von fossilen Energieträgern und Futtermitteln - ebenfalls einer Energieform - bewegt sich die Nettoselbstversorgung der EG nach Auffassung des Annweiler Wirtschaftswissenschaftlers Dr. Werner Schüttauf "an der Hungergrenze von nur 60 Prozent". Durch die Agrar- und Ernahrungspolitik der EG ist in der Überschußgesellschaft der Hunger vorprogrammiert: "Kein Kontinent ist so von Hunger bedroht wie Westeuropa." An dieser bitteren Wahrheit können auch Fleischberge und Milchmeere nichts ändern. Ganz im Gegenteil.
Im nächsten Heft: Tips zum Energiesparen
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Abschrift aus Heft Nummer 3, März 1982 der Zeitschrift natur, Seiten [32-39].
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