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Die Folgen des Klimawandels betreffen vor allem die armen Länder...
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... wir im reicheren Norden müssen uns nicht wirklich sorgen.

So sagen die MeinungsführerInnen in Politik und Wirtschaft.

Darum reproduzieren wir einen Bericht aus 1993 (den wir aus dem Internet holten - ohne Gewinnabsichten - weil das Internet flüchtig ist.).

Die Klimatologen sagen vermehrte Wetterextreme voraus: starke regenfälle und Hitzeperioden. In Kombination mit Gletscher- und Permafrostschmelze könnte das unseres Erachtens zu häufigeren Bergrutschen führen.

Werden wir wirklich in der Lage sein, alle Schäden zu beheben und unsere Verkehrsverbindungen und Energiestrukturen aufrechtzuerhalten? Oder sollten wir vielleicht doch die Wirtschaft umstrukturieren, das heisst wieder vermehrt lokal arbeiten und wohnen?

Eine Relokalisierung wird ein grosser Beitrag zur Verringerung der verkehrsbedingten Treibhausgasausstösse sein.

Helmut Lubbers ... 28 Juli 2008

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    Brig - Oberwallis
     

    Freitag 24. September 1993

    Eine unvergessliche Tour

    Diese Tour sollte etwas Besonderes werden, man kann sagen, in einem negativem Sinne wurde sie es. Zum ersten Mal war ich mit einer grösseren Gruppe Biker als Guide unterwegs in den Alpen. Wir waren sieben Motorräder, eine Transe, zwei Duc, zwei XJ, eine K 100 und meine Wenigkeit mit einer GPZ 550. Bis auf zwei Bikes waren alle mit Sozia/Sozius bestückt, also eine recht grosse Gruppe freute sich auf eine schöne Alpentour, einige der schönsten Pässe standen auf dem Programm. Zwei Kollegen, die noch Dienst hatten, wollten Tags darauf in den Alpen am Gotthard zur Gruppe stossen. Der Wetterbericht sagte für das Wochenende leider verhangenen Himmel und gelegentlichen Regen in den Alpen voraus. Wir beschlossen, dennoch zu fahren.

    Am Nachmittag des 23.09.93 starteten wir von unserem Treffpunkt an der A 81 in Herrenberg gen Süden. Mit unseren Maschinen war ein zügiges Vorankommen kein Problem und bald überquerten wir in Konstanz die Grenze zur Schweiz. Hier begann leichter Nieselregen, der allerdings noch wenig störend war. Über Wil, Watwil erreichten wir nach Querung des Satteleggs, wo bereits Dauerregen herrschte, Schwyz und quartierten uns in ein kleines Hotel im Stadtzentrum ein. Ein lustiger Abend folgte.

    Am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrühe standen wir auf, begann ein trüber Tag. Die Stimmung war trotzdem hervorragend, wir freuten uns auf die Alpen. In leichtem Niesel ging es entlang des Vierwaldstättersees über Brunnen und die Axenstrasse Richtung Gotthard. Nachdem wir noch kurz telefoniert hatten (im Vor-Handy-Zeitalter), war der Treffpunkt mit den geplant Nachreisenden, die von Deutschland aus starteten, festgemacht.

    Der Regen verschärfte sich, ein Dauerregen hatte eingesetzt und blieb konstant. Kalt war es ausserdem. Am Urnerloch unterhalb von Andermatt schäumte die Reuss bereits in ihrem Bett, wie ich es vorher noch nie gesehen hatte: Bis zur Brücke spritzte die Gischt herauf. Nach einer kleinen Pause in Andermatt folgte der Aufstieg zum Oberalppass, Nebel, heftiger Regen und Kälte. Disentis und Lukmanierpass, nichts als Regen. Nicht einmal in Biasca war ein Entkommen aus der triefenden Nässe möglich. Wir beschlossen bei einem wärmenden Kaffee, den Wetterbericht genauer zu analysieren, um ggf. in den Süden zu entweichen. Aber: Kein Entrinnen, bis zum Mittelmeer nichts als Regen. So wurde die schnelle Einkehr ins Quartier im Oberwallis beschlossen und die ursprüngliche Route über Locarno - Centovalli - Simplon - Brig über Bord geworfen. Gott sei Dank, wie es sich später herausstellte!

    Es folgte jetzt ein ziemliches Gestochere im Nebel entlang des Ticino zurück nach Norden. Über den Nufenen sollte es ins Wallis gehen. Im Nebel brauchten wir unendlich lange für die recht kurze Strecke und in Airolo trafen wir auf eine deprimierende Beschilderung: Nufenen geschlossen. Na, wahrscheinlich liegt dort oben Schnee, so dachten wir, das ist ja nichts Aussergewöhnliches zu dieser Jahreszeit. Aussergewöhnlich waren allerdings die Fontänen der zahlreichen Wasserfälle links und rechts der Strasse, die wir beobachten konnten. Überhaupt: Wo das Auge auch hin blickte, nichts als Wasser. Wir waren triefnass, alles durchweicht, die Regenkombis nützten nur noch marginal. Eine Vignette hatte keiner von uns und der Gotthardpass war noch offen, wir beschlossen trotzdem den Tunnel zu fahren. Welche Labsal, stinkend, verrusst, aber warm. Teilweise abgetrocknet erreichten wir erneut Göschenen und Andermatt, hier rann das Wasser über Felsen und Wege, die Reuss tobte in ihrer Schlucht. Langsam dämmerte es uns, dass da eine kleine Katastrophe im Gange war. Dass es eine Grosse war, ahnten wir immer noch nicht.

    Auf dem Weg zum Furkapass genügten wenige Kilometer und wir waren erneut pudelnass. Im Urserental trat die Reuss über die Ufer. Plötzlich musste ich bremsen: Mitten in der Strasse hatte sich ein Loch aufgetan und Wasser sprudelte durch den Belag nach oben heraus. Weiter oberhalb in Realp, fuhrwerkte ein Polizist mit einem Schild herum: Der Furkapass wurde soeben geschlossen, eine Passage war uns daher nicht mehr möglich. Im Bahnhof von Realp stand aber ein Zug der FO, der Autoverlad war also noch in Betrieb. Wir verteilten uns auf zwei Züge und erreichten wohlbehalten Oberwald im Goms. Hinter uns wurde nun auch der Zugverkehr eingestellt, die Strecken nach Andermatt auf Strasse und Schiene geschlossen, da die Reuss das Gleisbett, Strasse und Brücken unterspült und fortgerissen hatte. Das wussten wir aber noch nicht. Genau so wenig konnten wir ahnen, dass unserer Nachzügler, die immerhin im Dauerregen noch bis Göschenen kamen, dort nun festsassen.

    So fuhren wir weiter durch Regen im Goms bis Fiesch. Hier tauchte am Ortsrand eine Strassensperre auf und ein Beamter der Kantonspolizei forderte uns umgehend zur Einkehr in Fiesch auf, alle Strassen seien von hier ab gesperrt worden. Auf mein Nachfragen erklärte er recht fassungslos, dass die Stadt Brig soeben untergegangen sei, der Ausnahmezustand sei verhängt worden, wie viele Opfer es gegeben habe, sei ihm nicht bekannt. Nach einer kurzen Erklärung, dass wir nur noch wenige Meter zu fahren hätten und in ein benachbartes Dorf wollten, liess er uns durchfahren. Wir überquerten die ungewöhnlich tobende Rh™ne auf der offensichtlich standhaften Brücke und waren Minuten später im Quartier am warmen Kachelofen. Endlich trocken, ein Gefühl, das wir schon nicht mehr zu kennen glaubten.

    Im Radio verfolgten wir die Geschehnisse und begriffen erst langsam, dass wir durch die Abwandlung der Route in Biasca wahrscheinlich unser Leben gerettet hatten.

    Nach drei Tagen wurde der Verbindungsweg via Oberwald wieder freigeschafft, von Menschen, die nicht selten ihr eigenes Leben riskierten. Im nachlassenden Niesel fuhren wir zurück nach Stuttgart, eine Tour, die uns unvergesslich bleiben wird.

    PS: Unsere ursprünglich geplante Route gab es nicht mehr. An der Südflanke des Simplon war die Strasse weggerissen, Brücken waren einfach weggespült worden. Im Tessin waren Felsstürze, Murengänge und Überflutungen zu verzeichnen, Strassen waren weithin unpassierbar. Das gesamte Wallis und weite Teile der Alpen wurden Katastrophengebiet. Besonders hatte es aber Brig getroffen, das kleine, wohlhabende und schmucke oberwalliser Städtchen ging innerhalb von Minuten in Schutt und Schlamm unter...


    Es ist kurz vor 16:00 Uhr, in Brig ist die Saltina, ein normalerweise kleiner Bach, gefährlich angeschwollen. Sie trägt Geröll und anderes Geschiebe mit sich, das sich an einer Brücke verfängt und den tobenden Wildbach weiter aufstaut. Versuche, den Aufstau an der Brücke Richtung Brig-Glis mit schwerem Gerät zu beseitigen, scheitern. Als die schäumende Saltina in die Stadt schwappt, müssen sich die hilflosen Retter selbst in Sicherheit bringen,. Der rasende Wildbach führt Tonnen von Material pro Minute mit sich. Anfangs läuft nur ein kleines Rinnsal die Bahnhofstrasse hinunter, nach wenigen Minuten tobt die Vernichtung durch die Stadt. Für Warnungen bleibt keine Zeit mehr. Die Schule ist soeben aus.

    80 Kubikmeter Wasser und 1,5 Tonnen Geröll, Schlamm und anderes Geschiebe wälzen sich pro Sekunde in die Stadt!


    Die Überflutung....

    ....mit ungeheurer Wucht

    Am Tag danach: Bis in den ersten Stock Schuttmassen

    Aufräumarbeiten in einer....

    ....zerstörten Stadt. Der Bahnhof der BVZ und FO.

    Das war von 'unserer' Simplonroute....

    ....übrig geblieben

    Die Katastrophe forderte zwei Menschenleben, ein Wunder, wenn man das Ausmass der Zerstörungen betrachtet. Es entstand ein Sachschaden von rund 600 Millionen Franken allein in Brig. Die Stadt wurde wieder aufgebaut, sie hat aber ihren ursprünglichen Charme nicht wieder erlangt.

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