ecostory 59/2006
Heisse Luft von der Klimakonferenz in Berlin von 1995
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Heisse Luft

"Berlin" ist zu Ende. Pfffff. So ein Stress . Als Andenken kaufte ich mir eine Büchse "HEISSE LUFT" vom Welt-Klima-Gipfel Ð ICC Berlin. Inhalt 750 ml, Füllgewicht: 0, Preis nur DM 3,99. Volumenmässig passte es gerade noch in mein Gepäck hinein. Zu den Kilos Klimaschutz-Dokumente hätte ich kein Gramm extra tragen können. Doch gelohnt hat sich die Reise nach Berlin allemal.

Auch mir war die Luft nicht "Schnuppe", wie der Stadtsenat an allen Ecken auf grossen Plakkaten anpreist. Darum fuhr ich tüchtig Bus, U-Bahn und S-Bahn. Vor 24 Jahren war ich hier zufällig Zeuge, wie das Publikum im Bahnhof Zoo vor den Treppen der S-Bahn die herunterkommenden Fahrgäste auspfiff. Das DDR-Regime hatte gerade mit der Mauerbau begonnen und die S-Bahn stand unter ostdeutscher Verwaltung.

Seit der "Wende" von 1989 braucht es jeweils genaue Nachforschungen, um herauszufinden, wer wen verwaltet. Die ÉÉÉÉÉÉÉÉÉÉ werden gerade an einer US-amerikanischen Firmengruppe verkauft. Die ArbeiterInnen protestieren. Begreiflich. Denn wer garantiert dass der "Unbekannte Aktienbesitzer", dessen Denkmal in Brüssel steht , nicht wegen der maximierung der nächsten Quartalsdividende die ganze Bude kurzerhand aus der Ferne schliesst? Die westdeutsche Treuhand ist dabei, ihre Verwaltungstätigkeit zu beenden. Nach bestem Können und Vermögen hat sie das Volksvermögen privatisiert und viele "unrentable" Betriebe geschlossen. Deswegen konnte der Bundeskanzler Helmut Kohl mit Stolz darauf hinweisen, dass Deutschland schon viel CO2-Emissionen (Kohl-Dioxid-Ausstösse) eingespart hat.

Womit wir wieder bei der heisse Luft der Konferenz angelangt sind. Denn tatsächliche Treihausgasminderung fand im raumschiffartigen Tagungsgebäude nicht statt. Das Gebäude glich einem Treibhaus von Gerüchten, Meinungsmache und Beeinflüssung (Neudeutsch: Lobbying). Da schienen die Vertreter der internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce), schlecht getarnt hinter korrekten Anzügen mit Krawatte und grünen Namensschildern mit "ICC" und andere "Business-NGO"s , gut organisiert. Mindestens immer ein "Meinungsbeeinflüsser", meistens zwei oder drei von ihnen warteten ständig vor dem Ausgang vom "Raum 6". Hier verhandelten unterschiedliche Gruppen von Regierungsabgeordneten, ihre Absonderung gut behütet von schön uniformierten VN -Ordnungshütern.

Auf meiner Blechbüchse fehlen die zwei kreisenden Pfeile für "Recyclen" (Altdeutsch: wiederumlaufenlassen). In der ehemaligen DDR wurde alles wiederverwertet, von Papier über Lumpen bis Metall, gewissenhaft und in den kleinsten Mengen. Eine ausgeklügelte Organisation, die SERO, hatte die Altstoffverwertung fest in der Hand. Mit grosser Effizienz wurde aus SERO zéro (französisch: null, nichts). Es lässt sich eben mehr verdienen wenn man Abfälle verbrennt und nebenbei heisse Luft erzeugt. Die Luft in meiner Blechdose ist "absolut FCKW-frei". Nein. Das heisst nicht, dass keine Fussball-Clubler-Kreuzberg-Westberlin enthalten sind. Fluor-Chlor-Kohlen-Wasserstoffe fehlen, wie auch Konservierungsstoffe. Aber "Bitte heiss aubewahren" soll ich die Büchse (der Schreibfehler ist "Original" wie die Heisse Luft).

Kleingedruckt liest sich die "Qualitätsgarantie und Gebrauchsanweisung" nur mit einiger Mühe:
    Diese Dose enthält in reinster Qualität kostbare "Heiße Luft" direkt von den Emissionen des Klimagipfels 1995 im ICC Berlin Noch nie haben internationale Politiker von höchstem Rang angesichts so gravierende Menschheitsprobleme soviel "Heiße" Luft in so hoher Konzentration produziert wie auf dieser Konferenz. Unsere Firma leistet mit der weltweiten Verbreitung dieses Produktes einen entscheidenden Beitrag zum wissenschaftlich-technischen Fortschritt und zur Erschließung neuer Energiequellen. Auch Sie sind durch den Kauf und die Verbreitung dieser Dose an einem welthistorischen Prozess beteiligt. Sie erhalten dafür ein Produkt von nahezu ewiger Haltbarkeit. Sie sollten das Geheimnis dieser Dose - und damit den Deckel - niemals lüften. Bei Ü;berschwemmungen wird das Produkt immer oben schwimmen und für Sie da sein.
Na ja, Werbung muss sein. Wie wollten wir denn sonst alle die wunderbare Produkte verkaufen, die uns das Leben erst so richtig schön machen? Die sich bereits privat gebahrende PTT macht's vor: "Jugendkonto und Fleischbullette muss rein", lese ich auf elektrisch bewegten Schaubildern der altehrwürdigen Tante Pos. Allerdings steht noch die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung dazwischen, bevor unsere Dame eine internationale Privatehe eingehen kann. Die Neuseeländer hatten's da einfacher. Vor fünf Jahren verkaufte die sogenannte "National Party"-Regierung ihre Telecom dem Meistbietenden, der amerikanischen Bell Corporation. Man kassierte den Kaufpreis einmal - die jährlich wiederkehrenden Betriebsgewinne fliessen privatisiert ins Ausland. Der steuerzahlenden Bevölkerung verbleibt der eher verlusstbringende Brief- und Paketpost.

Die Geschäftswut der Post treibt aber noch wildere Blüten. Scheinbar unberührt von moralischen Skrupeln verhunzt sie die "MundÊaufÊstattÊAugenÊzu"Kampagne des Umweltschutzamtes. "Konto auf, Maul zu! Gelbes Jugendkonto aufmachen, Fleischbulletten Menus6 reinschieben. Deine Post" glotzt es mir vom Plakatwand frech entgegen. Befehl ist Befehl! Konsum ist Konsum! Was wohl die oberste Cheffin in Sachen Umweltschutz, Frau Bundesrätin Ruth Dreifuss davon hält, dass der oberste PTT-Chef, Herr Bundesrat Adolf Ogi hier vielleicht das Kollegialitätsprinzip in Sachen Umweltschutz verletzt? Weiss das Eidgenössische Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement des Innern nicht vom Zusammenhang zwischen Fleischproduktion und Treibhausgasen? Ü;brigens, das "Deine Post" ist richtig. Doch wo habe ich als schweizer BürgerIn die Möglichkeit, solche Geschäftlipraktiken meiner Post zu unterbinden? Hatte ich doch bisher gedacht, meine Post hatte den Verfassungsauftrag, die PTT-Dienste bis in allen Landesteilen sicherzustellen. Und nun verschachert die schwergewichtige Dame leichtgewichtige Schaumstoffspielzeugbussen und Adress-Stempeln, verschleudert Werbemillionen für ihr Monopolprodukt und wirbt so ganz nebenbei gelb-sexistisch.

Doch ich schweife ab. Leicht bekommt man einen heissen Kopf bei schweizerischen Alltagsthemen. Dafür muss man nicht zuerst die heisse Raumschiffklimaluft atmen. Was heisst da atmen. Mehrmals konnte ich nur mit grosser Mühe den Drang widerstehen, die Blechdose als Notration zu verwenden. Wurde sie doch, gemäss privater Mitteilung des Abfüllungsleiters, Herrn Kurt Jotter vom "Büro für ungewöhnliche Massnahmen" aus Berlin-Kreuzberg, bei den Abluftöffnung des Raumschiffes abgefüllt. Dort wird die Versammlungsabluft gefiltert in die Berliner Luft entlassen. Guter Umweltschutz, diese Abluftfilter. Denn das Klima im Innern wurde von vielen umweltbewegten Delegierten hemmungslos verraucht. In seinem winzigen Sekretariatsbüro (Raum ÉÉ) hielt der ehemalige Niederländische Umweltschutzminister seine brennende Zigarette noch verschämt auf Arschhöhe hinter seinem Rücken (Motto: was man nicht sieht stinkt umsomehr). Herr Hans Alders ist zur Zeit Direktor des Europäischen Büros der UNEP - United Nation Environmental Program in Genf. Herr ÉÉÉÉÉ ÉÉÉÉÉÉÉ, Umweltschutzminister des deutschen Freistaats Bayern, zeigte sein Bewusstsein für Freiheit und Verantwortung durch freimütiges Rauchen seiner Pfeife im zentralen Restaurant. Bei der Pressekonferenz für die schweizerischen MedienvertreterInnen wurde Frau Bundesrätin Dreifuss von zwei rauchenden Mitgliedern ihrer Delegation flankiert. Die ihr direkt gegenübersitzende Journalistin zündete als erste ihr Glimmstengel an. Da geht's nicht nur um heisse Luft, sondern um gesundheitsschädigendes Verhalten gegenüber anderen. Passivrauch erzeugt Krebs. Höflichkeit, Respekt und Rücksicht gehen in Rauch auf.

Ich höre bereits die Reaktion: das ist doch sektiererisch oder fundamentalistisch-missionarisch und unwichtig im Vergleich zum Treibhausgas-Klimaproblem. Wenn Sie meinen? Dann wollen wir mal überlegen. Muss nicht jedes Produkt, ob nützlich oder schädlich, zuerst mit Arbeits-, Energie- und Rohstoffeinsatz produziert werden? Die Tabakindustrie produziert in der Schweiz ÉÉ Prozent des Brutto Sozialprodukts (BSP). Dementsprechend ist diese Industrie für ihr Anteil am Energie- und Rohstoffverbrauch, wie an Schadtoffausstoss verantwortlich. Das ist nicht Nichts. Die durch das Rauchen verursachten Kosten belaufen sich in der Schweiz auf mehr als eine Milliarde Franken. Das ist mehr als die Tabaksteuerbeiträge für unsere AHV. Diese Beiträge sind nur vier bis fünf Prozent der AHV-Rechnung. Es ist ein Ammenmärchen, dass die AHV ohne Rauchen nicht bestehen könnte. Treibhausgasmässig rechnet sich das Rauchen mindestens doppelt: einmal anteilmässig zum BSP bei der Produktion und beim Vertrieb, und andermal anteilmässig wegen den rauchbedingten Schäden und Kosten. Das macht etwa ÉÉ . Doch genug der Zahlen. Der Tabakrauch nimmt mir die Atemluft, stinkt mir in der Nase und schmerzt mir in meiner Brust. Doch wen kümmert's? Als Trost bleibt mir, das das Rauchen in der Schweiz nach geltendem Umweltschutzgesetz vom 7.10.1983 in meiner Nähe verboten ist:
Art. 1 Zweck 1Dieses Gesetz soll Menschen, Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften und Lebensräume gegen schädliche oder lästige Einwirkungen schützen und die Fruchtbarkeit des Bodens erhalten. 2Im Sinne der Vorsorge sind Einwirkungen, die schädlich oder lästig werden können, frühzeitig zu begrenzen.
Art. 2 Verursacherprinzip Wer Massnahmen nach diesem Gesetz verursacht, trägt die Kosten dafür.
Art. 3 Vorbehalt anderer Gesetze 1Strengere Vorschriften in anderen Gesetzen des Bundes bleiben vorbehalten.
Art.11 Grundsatz 1Luftverunreinigungen, Lärm, Erschütterungen und Strahlen werden durch Massnahmen an der Quelle begrenzt (Emmissionsbegrenzung).

Auf meiner Notluftdose lese ich:
    Sie brauchen diese Dose niemals wegzuwerfen. Das schont die Umwelt. Sie müssen sie nur immer wieder erhitzen, wenn sie ihren ursprünglichen Aggregatszustand, ihre energetische Dynamik, erhalten wollen. Das kostet zur Zeit sicher noch einiges an Energie Ð aber Sie müssen wissen: É erst wenn der letzte Fluß und das letzte Meer über die Ufer getreten sind und wenn das letzte Faß übergelaufen ist, dann werden sich Politiker späterer Generationen um ein tatsächliches Werterecycling, wirtschaftliches Umdenken und um eine globale Umstellung auf regenerierbare Energien bemühen. Dann wird diese Dose im geschlossenen Kreislauf einer solaren Installation ihre endgültige Bestimmung als unendlich haltbares, absolut unschädliches und in sich völlig regenerierbares Produkt erhalten Ð vorausgesetzt natürlich, Sie schützen sie vor Feuchtigkeit und überhitzen sie nicht zu sehr É Viel Spaß mit dem einzigartigen Survival-Produkt wünscht Ihnen Ihr "Büro für ungewöhnliche Maßnahmen"
Die Abbildung auf der Etikette zeigt das Konferenzgebäude umspült von wogenden Fluten. So weit ist es in Berlin nicht gekommen. Es gab noch zuwenig heisse Luft um die Polarkappen ausreichend abzuschmelzen. Arbeiten wir daran, das spätestens bei der nächsten Konferenz verbindliche Ziele für die Verminderung der Treibhausgase vereinbart werden, zusammen mit Richtlinien über die Methoden zur Ausstossreduktion. Beeindrückend war die Freundlichkeit der BerlinerInnen. Genug mit dem Kleinkram von Kann man's den Abgeordneten verübeln, wenn sie in erster Linie ihre eigene Interessen verfolgen, wenn wir selber auf Du-zu-Du-Ebene so respektlos sind?

Helmut Lubbers, Berlin 7 April 1995
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