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"Wachstum oder Nachhaltigkeit" - Brief an die KOF Zürich
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Offener Brief an Herrn Prof. Dr. Jan-Egbert Sturm und Mitarbeitende

ETH Zürich KOF Konjunkturforschungsstelle WEH D 4
Weinbergstrasse 35 8092 Zurich

Genf, 30 Januar 2007

Wachstum oder Nachhaltigkeit

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mit diesem Brief möchte ich das KOF höflich bitten, künftig in Ihren Berichten an die Öffentlichkeit das Wirtschaftswachstum nicht mehr als erstrebenswertes Ziel darzustellen.

Die Schweiz und deren Ressourcen sind begrenzt. Unsere Belastung der Umwelt überschreitet die Tragfähigkeit bereits um ein vielfaches. Der Raum und die Rohstoffe werden immer knapper. Die Belastung durch Emissionen nimmt zu, namentlich auch der Klimagase.

Gemäss der Berechnungspraxis des BIP entspricht jeder Franken einer entsprechenden Menge Rohstoffe. Eine Entkupplung von Wachstum und Rohstoffverbrauch ist nicht möglich. Auch die erhoffte Entkupplung von Wachstum und Energieverbrauch findet nicht statt, wie dies das BAFU letztes Jahr bestätigte.

Theorien wie "virtuelles" oder "nachhaltiges" oder sogar "immaterielles" Wachstum sind wissenschaftlich falzifizierbares Wunschdenken. Sogar im immateriellen, psychologischen Bereich kann man nicht immer weiterwachsen, weil es bekanntlich nur deren sieben Himmel gibt. Auch das Glücksgefühl stösst also an Grenzen.

Wirtschaftliche Expansion führt also immer zu einer Abnahme der nichterneuerbaren Ressourcen, wie Land und Mineralien und die Förderung des Wachstums steht demnach in klarem Widerspruch zum Gebot der Nachhaltigkeit, das auch in der Schweizer Verfassung verankert ist. Nachhaltig ist eine Gesellschaft, wenn sie auf sehr lange Zeit unverändert weiterfahren kann.

Die Schweiz und die Welt sind vor der Nachhaltigkeit sehr weit entfernt. Die Erschöpfung der lebensnotwendigen Natur und Rohstoffe, wie Mineralien und Land und Boden, aber auch das Ende eines normalen Klimas, sind abzusehen.

Dabei ist es im Grunde unwichtig ist, ob diese Erschöpfung "morgen" oder "übermorgen" eintritt. Historisch betrachtet ist es heute, weil wir schon mindestens 4000 Generationen nachhaltig gelebt haben, bis zum Beginn der Moderne, Ende des 18. Jahrhunderts. Dazu mögen Sie beiliegende Graphiken vergleichen. Ein gesellschaftlicher Zusammenbruch könnte bereits in 1 oder 2 Generationen eintreten, möglicherweise ausgelöst durch die Kombination vom Ende des Erdöls und des Erdgases mit den Folgen des Klimawandels.

Das Wirtschaftswachstum nun beschleunigt diesen Prozess der Erschöpfung und Umweltdegradierung und ein grundsätzlicher Wandel unserer Gesellschaftspolitik ist deshalb dringend.

In Ihrem KOF-Konjonkturbarometer jedoch ist das Wirtschaftswachstum der Massstab. Dieser sollten Sie durch ein anderes Mass ersetzen, wenn Sie den Anforderungen der Nachhaltigkeit gerecht werden wollen.

Weil die Erde bereits überbelastet ist, müssen wir weniger produzieren und konsumieren.

Hier nun liegt einer der wichtigsten Aufgaben eines zeitgemässen Wirtschaftswissenschaftlers: herausarbeiten, wie man den Übergang zu einer Wirtschaft mit weniger Materialdurchsatz zu Stande bringt, damit auch unseren Kindern noch etwas Erde zum Leben übrigbleibt.

Hierzu möchte ich ergänzend anmerken, dass Theorien und Hoffnungen keine Lösung der in der Realität anstehenden Probleme darstellen. Es gilt, dass man die Probleme von heute nur mit den Lösungen begegnen kann, die man heute kennt und die abgesichert sind.

Des weiteren muss man anerkennen, dass Technik keine Lösung ist, weil ebendiese Technik wiederum Ressourcen braucht und der Nutzeffekt nach einiger Zeit negativ wird, wie Herbert Gruhl 1973 dargelegt hat (siehe Beilage).

Auch mit Geld, wie Sir Nicholas Stern im Oktober letzten Jahres schrieb, kann man die Welt nicht bewahren. Geld stellt nämlich nur eine Verpflichtung dar, Arbeit oder Material zu liefern. Aufgebrauchtes Süsswasser oder ausgestorbene Arten oder entwaldete Länder oder verschwundene Gletscher oder Kohlenstoffbelastete Luft kann man damit nicht reparieren.

Auf eine Darstellung der Fiktionen des Kyotoprotokolls, wie Clean Development Mechanisms und andere sei hier verzichtet.

Realistischerweise bleibt uns nur ein Weg zurück in die Nachhaltigkeit: weniger, langsamer und vermehrt am Ort. Eine solche Wirtschaft hat eine Chance, zu überleben, und damit die Menschheit.

Ich denke, sehr geehrte Damen und Herren, dass Sie obige Gedanken nachvollziehen können. Bei Fragen und Anmerkungen stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung und ich beantworte gerne weitere umweltwissenschaftliche Fragen. Bei Zweifel gebietet auch das Vorsorgeprinzip, dass man sich auf das schlimmste vorbereitet und dementsprechend handelt.

Falls Sie keine grundsätzliche naturwissenschaftlich begründete Kritik haben, möchte ich Sie bitten, diese Prinzipien inskünftig in Ihrer Arbeit und Berichten an die Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Konkret bedeutet dies, dass Sie in Ihren Konjunkturberichten Abstand nehmen von der Wachstumsleitidee. Das wird Sie vorerst in eine schwierige Lage bringen, weil Sie der Mehrheitsmeinung Ihrer Disziplin entgegentreten müssen. Aber die Allgemeinheit wird Ihnen beifallen und unsere Kinder werden uns danken.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit sowie für Ihre Rückäusserung bzw. Bestätigung.

Mit freundlichen Grüssen,

Helmut Lubbers
ökologisch Psychologe
BE MSocSc DipEcol

Beilagen: erwähnt

cc: Radio DRS, Schweizer Fernsehen
Webseite ecoglobe.ch/sustain/d/kof7130.htm
  • Brief an die KOF wegen des sog."Qualitatitiven Wachstums" und der Effizienzsteigerung
  • ecostory vom 31.5.2007

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