ecostory 69/2005
Transportkostenwahrheit - eine Utopie?
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Gespräch mit DRS Wirtschaftsredaktor Michael Hiller - im Radio DRS-1 vom 27.12.2005 (audio>27.12.05)

Provokative Thesen oder gewagte Utopien - Was wäre wenn? - Transportkostenwahrheit.

Macht das wirklich Sinn, wenn Güter quer durch Europa hin und her transportiert werden, im Lastwagen, der die Luft verpestet, die Strasse verstopft und Lärm macht, nur weil die Verarbeitung im Ort B etwas billiger ist als in A? Und macht es wirklich Sinn, wenn tonnenweise Fisch aus dem Viktoriasee in Tanzania per Flugzeug nach Europa transportiert wird, und das täglich? Und muss mensch wirklich ein T-Shirt für drei Franken fünfundneunzig kaufen können, made in China, Tausende von Seemeilen entfernt?

Transport kostet zu wenig, Mobilität ist zu billig. Noch niemand hat zuverlässig errechnet, was eine Fahrt mit Auto, Lastwagen, Flugzeug, Eisenbahn oder Schiff wirklich kostet, wirklich, also inklusive aller Folgekosten, die da wären: Raubbau an den Ressourcen, Belastung des Klimas, Gesundheitskosten, und und und.

Internisierung der externen Kosten wäre gefragt, absolute Kostenwahrheit im Verkehr, ein Anliegen, das von Links und Grün kommt, ein Anliegen aber auch, dass eigentlich dem freien Markt, einer liberalen Wirtschaftordnung nicht widerspricht. Im Gegenteil. Alles hat seinen Preis. Nur muss der halt korrekt berechnet werden. CO2-Ausstoss, Landschaftsverbrauch, Lärm, der Verbrauch an Rohstoffen, der Schaden an Mensch und Umwelt, alles muss in diese Rechnung einfliessen. Dann kostet das T-Shirt aus China plötzlich wesentlich mehr, ist der Fischimport aus Tanzania kaum mehr interessant, wird das europäische Joghurt nur noch lokal aus lokalen Produkten hergestellt und auch lokal verkauft.

Ruhen, Arbeiten, Konsum und Freizeit, alles kleinräumiger. überschaubarer, regional orientiert. Allerdings auch produkteärmer und sicherlich teurer. Wohlstandsverlust und dies nicht nur weil man nicht mehr für neunzehn Euro nach Berlin jetten kann oder Weihnachtsshopping in New York zu teuer wird. Weniger Wachstum, weniger Konsum, anderer Konsum. Klingt wie aus dem Mund eines Ökofreks, der nicht an dem technologischen Fortschritt und dessen Möglichkeiten glaubt.

Anders betrachtet, die Vorräte dieser Welt sind endlich. Keine Glaubensfrage, das ist Physik. Und der Gedanke, mit diesen Vorräten sorgsamer umzugehen, eben durch Transportkostenwahrheit zum Beispiel, ist nicht einfach ein Appell, sondern die Gelegenheit, freiwillig etwas zu unternehmen bevor man, wegen dereinst drohenden Kollapses, etwas unternehmen muss. Wenn man dann noch kann.  

Soweit Michael Hiller Ich habe ihn gefragt, ob er denn an dem kollektiven Willen glaube, diese weltweite Transportkostenwahrheit zu realisieren. Denn schliesslich ruft er dazu auf, freiwillig etwas zu unternehmen.  

Nun. Mit freiwillig meine ich, dass man agieren sollte, bevor dass der Kollaps kommt, also bevor beispielsweise die Ölvorräte zu Ende gehen oder die Erderwärmung zu weit fortgeschritten ist oder die Strassen nur noch verstopft sind. Aber Sie haben natürlich Recht. Aus heutiger Sicht ist Transportkostenwahrheit eine absolute Utopie. Zu viele Interessen sind tangiert und es funktionniert wirklich nur, wenn die ganze Welt mitmachen würde. Sonst geraten einzelne Länder wirtschaftlich ins Hintertreffen, nämlich die Länder, die es einführen und die anderen profitieren dann.  

Wüssten Sie dann, wie so etwas umzusetzen wäre? Gibt es Ansätze dazu, schlaue Ansätze?  

Am einfachsten wäre wohl, die Kosten auf die Energiepreise zu schlagen, also auf den Ölpreis im wesentlichen. Das wäre dann so eine Art Ökosteuer. Das heisst, ein Liter Benzin würde dann vielleicht drei Franken kosten, also etwa doppelt so viel wie heute. Aber es sind natürlich auch andere Modelle denkbar, elektronisch erhobene Strassenzoll vielleicht, analoge Abgaben beim Fliegen und auf den anderen Verkehrsträgern. Die Kosten müssten einfach wirklich gerecht verteilt werden - beim Verursacher erhoben werden. 

Wir sehen doch aber eher in der Gegenwart gegenläufige Entwicklungen. Weil weltweiter freier Handel bedingt doch fast günstige Transportpreise.  

Ja. Man könnte auch umgekehrt argumentieren Also. Weil die Mobilität so billig ist, gibt es den weltweiten Handel überhaupt in diesem Ausmass. So betrachtet wäre die Frage eine Frage nach Huhn oder Ei. Aber es ist schon so. In der globalisierten Welt geht man davon aus, dass man etwas irgendwo herstellt, dort wo es am billigsten ist oder am geeignetesten und dann im Prinzip überall hin transportiert. Also das Welthandelssystem fusst tatsächlich auf günstigen Transportpreisen und so betrachtet wäre Kostenwahrheit eine gegenläufige Bewegung.  

Und diese gegenläufige Bewegung würde doch aber eigentlich heissen, man dreht das Rad gewaltig zurück. Ich denke mal an das Beispiel des lokalen Yoghurts, das Sie bringen. Das ist ja noch irgendwie realistisch. Aber wenn ich dannan andere Produkte denke, wie die Banane zum Beispiel, oder gewisse Gewürze, an die wir uns gewohnt haben. Muskatnüsse in unserem Fondue drin. Die sind ja irgendwie wirklich kaum wegzudenken aus unserem Alltag.

Das ist so. Und das wäre auch nicht so schlimm. Die Muskatnüsse für Ihr Fondue könnten Sie weiterhin kaufen und auch Bananen. Vielleicht würden die Bananen halt vier Franken pro Kilogramm kosten und damit nicht mehr billiger sein als die einheimischen Äpfel. Aber das Rad würde zurückgedreht, wie Sie sagen. Zweifellos, also, vor allem wenn grenzerloser Konsum zu möglichst tiefen Preisen wirklich als Fortschritt angeschaut wird - und das wird halt heute als Fortschritt angeschaut - so betrachtet würde das Rad zurückgedreht.

Weltweite Kostenwahrheit Das würde ja aber nicht nur für uns hier im Westen gelten sondern auch für ärmere Menschen. Also läuft Ihre These möglicherweise darauf hinaus, dass 0eben diese ärmeren Bevölkerungsschichten benachteiligt würden.  

Das ist für mich wirklich die Crux, wie man es fertigbringen könnte, dass Benachteiligte nicht nocxh mehr benachteiligt werden. Das gilt für die dritte Welt, gilt aber auch bei uns, letzlich.  

Man könnte sich ja vorstellen, dass vielleicht sogar das Gegenteil passiert. Also laut nachgedacht mal könnte Transportkostenwahrheit ja dazu führen, dass die Produktion vermehrt auch in Ländern der dritten Welt stattfindet, mindestens für die regionalen Märkte.  

Das Ziel des ganzen sollte ja wirklich sein, dass alle profitieren können. Also nicht in Form von mehr Wohlstand nach gängigen pekuniären Kriterien, aber in Form von mehr Lebensqualität. Wie genau man das erreicht muss im Detail erarbeitet werden. Ich meine, Transportkostenwahrheit wäre ein Schritt, ein wichtiger. Mir ist aber schon klar, dass aus heutiger Sicht ein solcher Schritt, wie gesagt, ein utopischer ist und dass es paralell dazu so etwas wie flankierende Massnahmen bräuchte.  


ecoglobe:

"korrekt" den Preis berechnen - Kann man wirklich alles internalisieren? Ist das sogar anstrebenswert? Ist das die Lösung? Vielleicht. Aber der Aufwand wird gewaltig sein und das Ergebnis dennoch fragwürdig. Welche Kostenbasis sollen z.B. gelten, jene des exportierenden Landes? Dann bliebe das Problem bestehen. Kann man den Wert der sauberen Luft oder den Gesang eines Vogels oder einer schönen Landschaft berechnen? Uns scheint der Anspruch der Internalisierung zu hoch gegriffen.
Eine Kostenrechnung für USA-AutofahrerInnen sieht so aus:
Die wirklichen Benzinkosten

Was man in den USA an der Zapfsäule im Januar 2004 bezahlen musste, war nach Rechnung des National Geographic Magazine weniger als zwei fünftel vom Preis in dem die externen Kosten miteinberechnet werden.

 

Gesamte Kosten

$ 4.03

 

Externe (verborgene) Kosten - 61 %

$ 2.46

$ 0.02

Öl-Leckverluste in Raffinerien und an Tankstellen  

$ 0.12

Risiko von Störungen in der Wirtschaft;
zeitweilige Ölversorgungsengpässe führen zukurzzeitigen Arbeitsplatzverlusten
 

$ 0.12

Folgekosten der globalen Klimaerwärming durch Kohlendioxid-Emissionen  

$ 0.40

lokale Kosten wegen Umweltverschmutzung; Auswirkungen auf die Gesundheit (Lungen), insbesondere in empfindlichen Bevölkerunsgruppen  

$ 0.80

Verkehrsunfälle: Verkehrsstaus: Kosten wegen Zeitverlust in Staus, verschwendetes Benzin  

 

Benzinpreis in den USA pro Gallon - 39 %

$ 1.57

 

Flexibele Kosten  

$ 0.43

Bundes- und Staatssteuern  

 

Feste Kosten  

$ 0.75

Rohöl = 27 %  

$ 0.24

Raffinerie = 48 %  

$ 0.15

Distribution und Marketing = 10 %  
Aus National Geographic, Juni 2004, Seite 97 ("The End Of Cheap Oil", von Tim Appenzeller) - Übersetzung Helmut Lubbers

Obige Externe Kosten und deren Schätzungen sind nur grobe Annäherungen und können keinen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit erheben. Unseres Erachtens gibt es noch eine Reihe von externen Kosten, die man miteinbeziehen müsste. Eine anpassunmg an europäische Verhältnisse wäre nötig. Falls man sich dann auf die richtigen Zahlen einigen könnte, so würde dann der Streit um die Einführung beginnen. Eine endlose Geschichte, meinen wir, weil die unterschiedlichsten Urteile über den Sinn und die Notwendigkeit ebenfalls mitspielen.

Wird es einfacher sein, die normalen Menschen davon zu überzeugen, dass wirtschaftliches Wachstum nicht sinnvoll ist und dass wir stattdessen reduzieren müssen? Die Bürger und Bürgerinnen würden dann den Ökonomen den Auftrag erteilen, ein anderes Wirtschaftsmodell zu erarbeiten und vorzulegen.

Andere, direkt politische Beschlüsse zur Lokalisation, Entschleunigung und Qualitätssteigerung der Produktion könnten schneller wirksam und weit wirksamer als das Vertrauen im Markt. Auch die Marktordnung basiert ausschliesslich auf politischen Entscheidungen. So wie man privatisieren und globalisieren kann, können diese Entscheidungen auch rückgängig gemacht werden. zurück

"regional" ist Lokalisation ist Arbeit und Konsum dort wo man wohnt. Dadurch kann der Material- und Umweltverschleiss wesentlich verringert werden. Damit einher geht eine Entschleunigung der Gesellschaft, sowie eine Rückkehr zur Herstellung von langlebigen Waren. Das wird eine Riesenumwälzung in dem räumlichen Strukturen und in den Machtsverhältnissen zur Folge haben.
Die Industrieproduktion wird gewaltig sinken, und damit werden die Erschöpfung der Rohstoffe und die Ausstösse von Schadstoffen dementsprechend verringert.
Grosse Gewinner werden wir alle sein, arm und reich, nord und süd. Weil wir mehr Zukunft haben werden. zurück

"dereinst" bedeutet "später einmal" oder "inferner Zukunft" (Duden). "dereinst" ist jedoch zu spät. Wir müssen heute etwas, wenn wir den ganz konkreten und realen Umwelt- und Wirtschaftskollaps in einer oder zwei Generationen vermeiden wollen. "Wenn man dann noch kann." Eben - "dann" kann man nicht mehr. Dann ist es endgültig zu spät. Solchen †berlegungen sind unseren Regierenden leider fremd. Deren Leitsatz ist Wachstum und Nachhaltigkeit ein Lippenbekenntnis ohne Inhalt oder Verpflichtung. zurück

"freiwillig" - Ausdruck des weitverbreteiten Glaubens, der Mensch mache nur etwas wenn er muss. Aber wer zwingt die Herrschenden, die Ökonomen, die Politiker, ihre Ideologien in Bezug auf Nachhaltigkeit zu hinterfragen? Das Volk? zurück

"Interessen" - Haben nicht alle ein Interesse daran, dass der Umweltkollaps vermieden wird? Nach unserer Erfahrung sind die meisten Führer in Wirtschaft und Politik dermassen im Alltäglichen gefangen, dass ihnen die Zeit und gewiss auch der Mut fehlt, etwas weiter in die Zukunft zu schauen und die Fragen wirklich unvoreingenommen anzuschauen. zurück

Die Kosten "gerecht" beim Verursacher erheben. Nur, wer ist Verursacher? Der Autofahrer, der Transportunternehmer? Oder sind die Verursacher in den oberen Etagen der Politik und Wirtschaft zu suchen, in den Abteilungen Volkswirtschaft der Hochschulen? zurück

"realistisch"? Mitnichten! Ein 180 gramm Yoghurtbecher ist doch nur eins der Produkte und deren Grundstoffe, die Tausende von Kilometern durch die Gegend gekarrt werden. Warum sollte es ausgerechnet beim Yoghurt vielleicht "realistisch" sein? Vielleicht weil der Fragende so gerne Yoghurt isst, dass er dafür aus Umweltgründen eine Preiserhöhung in Kauf nehmen würde? Und überhaupt. In der höchsten Not isst man die Wurst auch ohne Brot. Also Muskatnuss muss sein. So ist das. zurück

"Bananen" teurer als eiheimische Äpfel? Die Manager der marktbeherrschenden Unternehmen werden sich mit aller Macht dagegen wehren. Eben diese Manager betrachten es als Fortschritt, wenn immer mehr Konsumiert wird. Ihre ideologisch begründete Wachstumsbegierde scheint grenzenlos. Die Konsumenten sind doch nur grösstenteils eine zum Konsum konditionierte Masse. zurück

"Lebensqualität" is indertat das Schlüsselwort. Hier müssen bestehende Arbeiten zur Kenntnis genommen werden, z.B. jene über die Diskrepanz zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Wohlsein. Oder die seit langem bekannte schlechte Eignung des BIP zur Messung der Qualität und des Fortschritts. (z.B. Daly und Cobb, IESW - Index of Economic and Social Wellbeing.)
"Lebensqualität" bedeutet auch, dass man eine wirkliche Hoffnung haben kann, dass auch unsere bereits lebende Enkel noch leben können und nicht im Umweltkollaps zu Grunde gehen.
Die realen Umweltentwicklungen und die Grenzen der Erde und der Vorräte müssen aber von den Ökonomenm endlich anerkannt werden! zurück


Transkript, sowie ecoglobe Anmerkungen: Helmut Lubbers - 5d31
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