Wachstumsdikussion
"Der sogenannte "komparative Vorteil" in der heutigen Zeit.
offener Brief an einige ÖkonomInnen von der Hochschule StGallen

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Genf, 8 Februar 2005.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Rein zufällig stolperte ich über Ihre Webseite Vernunft-Schweiz und den Lehraufsatz über "komparative Vorteile".
Ich schaute mir Ihre Seiten und Ihre Portraits ein wenig an. Ihre "Vernunft" ist dem Anschein nach eindeutig die singulare wirtschaftswissenschaftliche Vernunft, mit ihren Theorien und Lehrmeinungen.

Dazu gehört auch der alte Hut des komparativen Vorteils. Was zu Zeiten des David Ricardo's vielleicht etwas Gültigkeit besass, ist in unserer Zeit jedoch völlig überholt und widerlegt worden. Wenn der Mankiw das noch lehrt, dann hoffentlich nur als historische Besonderheit.

Die einzigen komparativen Vorteile, die es geben kann, sind an Grund und Boden gekoppelt, also nicht transportierbar. Ricardo's Portwein kann man nicht in Schotland wachsen lassen. Technische Fähigkeiten und Maschinen kann man überallhin verpflanzen. Heute redet man höchstens noch von kompetitiven Vorteilen und hier stehen bei ausweitendem Freihandel diejenigen am besten da, welche die tiefsten Löhne, Sozialabgaben und Umweltschutzbedingungen haben.

Der Freihandel ist dadurch ein Rennen zum tiefsten gemeinsamen Nenner geworden, zu einer Angleichung an die erbärmlichsten Lebebedingungen, die die ArbeiterInnen noch zu ertragen bereit sind. Der Handel dagegen nutzt nur denjenigen, die den Handel treiben. Die Vorteile der tieferen Preise werden unweigerlich durch die entstehende Arbeitlosigkeit und den Lohndruck mehr als wettgemacht. Die Beispiele sind schon rundherum uns bei uns zu sehen. Deutschland mit über fünf Millionen Arbeitslosen, mehr als 10 Prozent, sticht heraus. Das Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Moderne Lohnsklaven bei uns arbeiten rundum die Uhr beim vergeblichen Versuch, mit chinesischen ArbeiterInnen konkurrenzfähig zu sein.

Der Spiegel berichtet diese Woche (6/2005) folgendes über China:

Spiegel 6/2005 - Hausmitteilung, Seite 5:

Shenzhen ist eines der bizarrsten Schaufenster des neuen China. Binnen 20 Jahren ist die Stadt von 200000 auf über 7 Millionen Einwohner angewachsen, gigantische Fabriken entstanden. Wo sich vor nicht allzu langer Zeit noch Hütten und Fischteiche fanden, ragen heute 190 Wolkenkratzer auf. SPIEGEL-Reporter Ulrich Fichtner, 39, bereiste die Metropole, die direkt an Hongkong grenzt - und er fand eine Stadt voller Mädchen. "Auf einen Mann", so Fichtner, "kommen in Shenzhen mittlerweile sieben Frauen." Bauerntöchter aus ganz China wandern zu, um ihr Glück zu versuchen, doch nur wenige gelingt der Aufstieg in die heiteren Etagen des Kapitalismus. Die meisten von ihnen fristen ihr Dasein ganz unten, in Fabriken, Massage- und Karaokepalästen, in illegalen DVD-Shops und versteckten Fälscherwerkstätten. "Es sind die neuen Arbeitssklaven unserer Zeit", so Fichtner, "mitten in einem Land, das sich noch immer als kommunistisch ausgibt" (Seite 60).

Seite 60: Die Stadt der Mädchen - sie sind aus Dörfen geflogen, in denen Töchter nichts gelten, jetzt bauen sie Kühlschränke und Kopiergeräte und wehren sich nicht gegen schlechten Lohn. Das Wirtschaftswunder von Shenzhen wird von jungen Frauen gemacht - ein Ort der Träume, heisst es in der Provinz. Von Ulrich Fichtner.
[...]
Ihnen [den Mädchen] gehört Shenzhen, sie machen den Boom, sie machen die Stadt. Durchschnittlich 15 Porzent Wirtschaftswachstum jedes Jahr, seit 20 Jahren, das ist vor allem ihre Builanz, die Bilanz der Frauen, der Mädchen; ganz unten spielen ihre Geschichten und ganz oben, wenn sie viel Glück haben, und dazwischen liegt die unübersichtliche Wirklichkeit des neuen China.
Es sind Mädchen wie Tang Shuzhen, ein blasses Ding mit toten Augen, von früh am Morgen bis spät in die Nacht treibt sie 2000 Bodenschrauben in 2000 Kaffemaschinen, sieben Tage die Wocvhe, für 500 Yuan, umgerechnet 45 Euro Monatslohn. Ihre Abende sind ein einziegr Kampf um eine Pritsche im Schlafsaal auf dem Fabrikgelände, aber Tang Shuzhen sagt: "Es ist alles meine Schuld. Ich habe meinen Platz in der Welt noch nicht gefunden."
Mädchen wie Nummer 109, die eigentlich Xu Wenli heisst und in einem Massagepalast am Lo-Wu-Grenzübergang zu Honkong sieben Tage die Morgenschicht bestreitet, von acht Uhr früh bis acht am Abend, Stundenlohn 54 Cent, und die ihr Leben mit niemandem tauschen würde, niemals, ausser mit Den Li Din vielleicht, der zarten Schlagerkönigin Chinas, deren zuckrige Lieder traurige Herzen erwärmen.
Mädchen machen Shenzhen. Sie stecken Plastikköpfe an Plastikpuppen, sie ziehen lederne Uhrarmbänder durch Gerbsäuren, sie stanzen Profil in Turnschuhsohlen, sie schneiden Gummileisten für Kühlschranktüren, sie polieren Glasscheiben für Kopiergeräte, sie verkaufen im Getümmel der Elektronik-Discounter in Hinterzimmern raubkopierte DVDs, und im Futian-Bezirk füttern sie abends, in kleinstadtgrossen Karaoke-Schuppen, ihren Tischherren Oliven und Salzfischen in den Mund. Und dabie sagen sie, nach ihrem Leben befragt: "Ich habe Glück. Ich bin hier. Ich bin in Shenzhen. In Shenzzhen!"
Im Mai 2003 meldete die chinesische "Worker's Daily", dass in Shenzhen und seinen Industrievororten 5,5 Millionen Wanderarbeiter am Werk seien, davon 70 Prozent Frauen. In Nanshan, dem Hightech-Revier im Westen der Stadt, seien von 400000 zugewanderten Arbeitern 80 Prozent Frauen mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren. Sie sind geschickt, geschickter als Männer. Sie konzentrieren sich gut und lange. Sie sind fleissig. Sie mucken nicht auf. Überall sind sie am Werk.
Ein gewaltiges Werk: Made in Shenzhen sind nach Angaben der Stadt mittlerweile 70 Prozent aller weltweit produzierten Fotokopiermaschinen, 80 Porzent aller Plastikchristbäume. Die Stadt steht für ein Drittel aller in China hergestellten Kühlschränke, die Hälfte aller Videorekorder, 80 Prozent aller Telefone, und nimmt amn die Nachbarstädte dazu, das ganze Perlflussdelta, so ist hier die Rede vom grössten Produktionskomplex für Industrieprodukte weltweit.
In Branchen wie der Taschenindustrie, in den Spielzeugfabriken, in den gigantischen Fälscherwerkstätten für Uhren, Schmuck, Koffer, Schuhe und Elektronik, überall, wo es um feinere Mechanik und kleinere Handgriffe geht, kann sich das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Arbeitern hochschrauben auf 50 zu 1.
[...]
Bei Tisch, über Tellern mit Krebsen und Pfahlmuscheln, gurgelnden Fleischtöpfen und winzigen Aalen, erzählen sie ihre Geschichten. Von ihren Zwölf-Stunden-Tagen ohne Pause, ohne Pause, ohne Urlaub, ohne Rast. Vom einen freien Tag pro Monat, der meist verschoben und dann gestrichen wird. Von ihrer Sorge, dass sie zu früh ihr Qi verlieren, ihre Lebensenergie, ihre Kraft zur guten Massage.
Seite 72: Prinzip Hoffnung.
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat die Zahl der Arbeitslosen die Schwelle vonfünf Millionen überschritten. Eine Erholung ist nicht in sicht. Doch die Regierung zeigt sich seltsam unberührt. Sie hofft auf ein Anspringen der Konjunktur - und auf besseres Wetter.

(Transkription: Helmut Lubbers)

Gegen diese Arbeitsbedingungen und Abzockerlöhne sollen wir konkurrenzieren? Dagegen müssen wir kreativ sein, neue Produkte entwickeln, effizienter arbeiten, sagen uns unsere Oberen in Politik und Wirtschaft. Aber das sind unseres Erachtens leere Floskeln, nicht realisierbar. Und überhaupt! Was und zu welchem Zweck soll man da denn alles kreieren? Wir sehen das nicht und wir meinen, wir werden einfach verschaukelt, irregeführt von einer Klasse, die anscheinend nur kurzfristiges Gewinnstreben im Kopf hat.

WirtschaftswissenschaftlerInnen sind leider oftmals nur die einfachen Wasserträger einer Politik, die nicht nur dem Volke schlussendlich schadet. Sie sind auch die grossen VerfechterInnen eines andauernden wirtschaftlichen Wachstums.
Eine Wachstumspolitik ist jedoch Selbstmordpolitik. Denn eher früher als später werden die Grundstoffe, der Boden, die saubere Luft und der Raum aufgebraucht sein.

Beim erklärten Ziel von 3 Prozent Wachstunm pro Jahr wird die Gütermenge und der Ressourcenverbrauch in nur einer Generation von 25 Jahren mehr als verdoppelt sein. Eine Zunahme der Schweiz oder der Welt gibt es jedoch nicht. Im Gegenteil, die Vorräte werden immer kleiner und die Entwicklung geht gegen null oder energetisch nicht mehr abbaubare oder förderbare Restbodenschätze.

Es ist an der Zeit, dass WirtschaftlerInnen anfangen, die physikalischen Begrenzungen des Lebens anzuerkennen. Grad von jungen Leuten sollte man eine kritische Einstellung erwarten. Die Hochschulprofessoren und auch ich werden tot sein, wenn in ein, zwei oder drei Generationen wichtige Rohstoffe verbraucht sein werden. Es muss uns nur eine Schlüsselressource ausgehen und das ganze moderne technologische Gebilde bricht zusammen. Die heutigen Jugendliche leben dann noch.

Aber unter welchen Bedingungen?....

Haben Sie das Buch von Ulrich Gasche gelesen, oder andere Bücher, die sich mit der ökologischen Realität befassen? Ein paar Auszüge finden Sie auf meinen http://ecoglobe.ch Seiten.

MfG .. Helmut Lubbers BE DipEcol MSocSc

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