ecostory 1/2006
Kontextgespräch mit Herrn Markus Mugglin, Wirtschaftredaktor von Radio DRS und
Herrn Thomas von Ungern-Sternberg, Ökonomieprofessor an der Universität Lausanne

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Kontextgespräch im Radio DRS-2 vom 17.2.2006

DRS-Einführung:
Wird die Schweizer Wirtschaft schlecht geredet? Zu viel Staat! Kein Wettbewerb! Zu hohe Löhne! Die Schweiz versinkt im wirtschaftlichen Mittelmass! Was ist von solchen und Einschätzungen zu halten? Und welche Probleme haben wir wirklich?
Markus Mugglin, Wirtschaftsredaktor bei Radio DRS, erhebt in seinem Buch "Gegendarstellung" Einspruch gegen die Klagen.
Der Lausanner Wirtschaftsprofessor Thomas von Ungern-Sternberg spricht mit dem Autor über das helvetische Jammern in einer beneidenswerten Situation.
Redaktion Martin Heule

[Martin Heule (H):] Wäre die Schweizer Wirtschaft ein Körper, ein menschlicher Körper, müssten wir ihn im Spital liegend vorstellen. Und die €rzte stellten dramatische Diagnosen. Der Wirtschaftsjournalist Markus Mugglin stellt nun eine weitere Diagnose. Er meint, dass der Patient so krank nun auch wieder nicht ist. Weshalb aber die schlechten Diagnosen? Markus Mugglin.

[Markus Mugglin (M):] Und jetzt Nun. In letzter Zeit war es ja so, dass man angeklagt hat. Dass die Schweiz nicht vorankomme, dass die Schweiz weit hinten nachhinke, wenn es um das Wirtschaftswachstum geht, also wie sich die Wirtschaft entwickelt. Und das, denke ich, war das Dominierende, war für mich auch ein Ausgangspunkt um eigentlich Einspruch zu erheben, weil ich denke dass da sehr viel schwarz gemalt wird, beispielsweise als ich begonnen habe mit dem Buch zu schreiben, im Frühjahr 2004 da war die Auseinandersetzung über die Steuervorlage, diese Abstimmung in Mai, die gesagt hat, es brauche Reformen, aber diese Reformen hätten darin bestanden, eben Steuerentlastungen für die oberen Schichten zu bringen und viel weniger für die unteren. Das war auch die Zeit, das man eben gesagt hat, die Schweiz leide unter einer Wachstumsschwäche. Da gab es Publikationen, eine nach der anderen, aus dem Umfeld der Stiftung Avenir Suisse. Und das war eigentlich die vorherrschende Meinung, die damals noch stärker als jetzt, auch jetzt ist es noch spürbar, stärker als jetzt eigentlich dominant war.

[H] Also die Schwarzmaler haben dominiert - mit einer bestimmten Absicht?

[M] Mit einer bestimmen Absicht, insofern wenn man dann schaut, welche Folgerungen sie daraus gezogen haben. Dann heisst es eben, mehr Wettbewerb. Dann heisst es, weniger Staat, dass der Staat zurückgebunden werden müsse, die Staatsquote. Zum Teil hat es auch geheissen, nicht von allen Seiten, dann allerdings, dass es auch zu viel Demokratie gebe, dass also weniger Demokratie nötig sei um dann mit diesen Reformen neues Wachstum zu erzielen. Und Absicht besteht, weil das ist eben eine bestimmte Interessenlage. Es sind bestimmte Interessen, die in diese Richtung tendieren und andere Blickwinkel, andere Ansichten dann eigentlich ausblenden, andere Dinge, die meines Erachtens ebenso wichtig sind.

[H] Andere Dinge, die wichtiger sind. Oder ebenso wichtig. Wieviel Geld für die Aktionäre. Oder wiegt das viele Geld für die Manager und die dem Staat so wenig Geld wie immer nur möglich abführen möchten. Und sich auch nicht dreinreden lassen mögen, wenn es um Arbeitsbedingungen geht. Wir haben das Buch von Markus Mugglin einem Wirtschaftsprofessor zu lesen gegeben, einem Wirtschaftsprofessor, der sich auch immer wieder in der Öffentlichkeit meldet, in der westschweizer Öffentlichkeit. Er heisst Thomass von Ungern-Sternberg. Teilt er diesen Befund, dass in der Schweizer Öffentlichkeit ein Bild einer eher kranken Schweizer Wirtschaft aufgebaut worden ist?

[Ungern-Sternberg (U)] Ja, es ist sicherlich richtig, dass die wirtschaftspolitische Debatte in der Schweiz sich hauptsächlich auf einen Etat konzentriert, nämlich die Wachstumsrate. Und es ist auch richtig, dass die nicht immer richtig gemessen wird. Weil die Wirtschöpfung in der Schweiz und das Wachstum der Wirtschöpfung in der Schweiz sich mit dem was in anderen Ländern passiert durchaus vergleichen lässt. Ich würde es sehr begrüssen, wenn man versuchen würde, in der Schweiz sich mal konsequent auf andere Zahlen zu konzentrieren, Zahlen, die die Bevölkerung wesentlich mehr interessieren, die da wären erstens mal, wie entwickelt sich die Arbeitslosenquote in der Schweiz und im Ausland? Und wie entwickelt sich das Einkommen der ärmeren Bevölkerunsschichten in der Schweiz und im Ausland? Und ich würde sagen, in diesen beiden Zahlen, die meiner Ansicht nach von existentieller Bedeutung für diesen Grossteil der Bevölkerung sind, steht die Schweiz nach wie vor sehr gut da. Wir sollten uns konzentrieren auf das Wohlergehen der Bevölkerung und nicht abstruse Zahlen wie das Wachstum des Brutosozialproduktes. In Amerika sind in den letzten dreissig Jahren über die Hälfte der Bevölkerung ärmer geworden als sie vorher waren. Über diese Tatsache wird in der Schweiz praktisch nie geredet. Es wird immer nur geasgt, Amerika Wächst schneller als die Schweiz. Tatsache ist, dass der Grossteil der Bevölkerung in der Schweiz reicher geworden ist, während der Grossteil der Bevölkerung in Amerika ärmer geworden ist. Aber das wird einfach unter den Tisch gekehrt.

[H] Wie kann sowas passieren, dass sich eine freie Öffentlichkeit auf eine einzige Perspektive sozusagen beschränkt?

[U] Die Ökonomie ist ein sehr komplexes Gebilde. Die meisten Leute verstehen nicht viel davon und interessieren sich nicht sehr dafür. Und deswegen fokalisiert sich die Debatte so auf ein paar einfache Zashlen und alles andere wird aus dem Auge verloren. Die Ökonomie ist eigentlich was relativ einfaches. Aber man schafft da so ein paar Zahlen und macht daüber wirre Theorien, die für die meisten Leute abschreckend ist. Und dann muss man vielleicht dazu sagen, dass die Schweizer glaub ich strukturell sich gerne beklagen. Und mit den etwas niedrigeren Wachstumszahlen, wie sie auch gemessen seien, hat man nun einen Grund, sich zu beklagen.

[H] Klage und Jammern als Volkssport, als kulturelles Erbe der ländlichen Schweiz, der man traditionellerweise eine hohe Jammerkompetenz zuschreibt. Markus Mugglin teilt die Ansicht, dass man sich vermehrt auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und die kleinen Einkommen konzentrieren müsste und dass wir grundsätzlich im internationalen Vergleich ganz gut darstehen.

[M] Wobei ich gleichzeitig sage, dass ich gewisse Bedenken diesbezüglich habe, Bedenken, dass sich die Situation doch auch etwas verschlechtert und zwar in einer Art verschlechtert, auf die man eigentlich auch zu wenig eingeht. Ich kann das vielleicht an einem Beispiel Arbeitslosigkeit sagen. Die Arbeitslosigkeit liegt heute bei weiterhin drei koma fünf oder fast vier Prozent. Das ist zwar im Vergleich zu den europäischen Ländern noch immer sehr gut, aber man hat jetzt gleichzeitig erkannt, dass diese Arbeitslosigkeit trotzdem auf diesem Niveau verharrt, obwohl die Wirtschaft eigentlich wieder angezogen hat und ich denke, das ist ein Punkt, den man grössere Beachtung schenken müsste und sich auch fragen müsste, besteht die Gefahr, dass wir in ein europäisches Fahrwasser hier hineinkommen. Das ist für mich eine offenen Frage. Aber es gibt gewisse Indizien, die mindestens sagen, dass die Zeiten der sehr tiefen Arbeitslosigkeit wie sie die Schweiz hatte, dass die möglicherweise vorbei sind.

[M] Also dass es den Sonderfall Schweiz in diesem Sinne nie mehr geben wird.

[M] Nie mehr geben wird, natürlich auch weil es - die Schweiz kann sich ja nicht abschotten; schottet sich auch weniger ab als noch vor einigen Jahren, sei es jetzt gerade mit den letzten Abstimmung Personenfreizügigkeit und Personfreizügigkeit - ich bin dafür und war auch dafür - bedeutet aber doch auch gewisse Risiken weil jetzt ausländische Arbeitskräfte die gleichen Möglichkeiten haben, eine Stelle zu finden in der Schweiz, was sie bisher nicht hatten. Aber wenn man solche Öffnungen macht und das denke ich das wäre eine prinzipielle Frage, dann müsste man sich immer auch fragen, neben den Gewinnen, die das haben kann, das von Öffnungen, von Liberalisierungen, da gibt es Gewinner. Aber es gibt immer auch die Gefahr, dass es Verlierer gibt oder es gibt auch Verlierer, dass man sich vermehrt überlegen müsste, wie sind solche Öffnungen, wie sind solche Liberalisierungen zu begleiten. Und ich denke das ist gerade ein grosses Manko in der schweizerischen Diskussion, die eben sagt, mehr Wettbewerb braucht es, weniger Staat braucht es, dass gerade diese Gefahren beiseite geschoben werden und das hat Konsequenzen. Und sei es nur die Konsequenz, dass viele Leute auch Angst haben und auch Angst vor Reformen dann haben.

[U] An dem Tag, an dem die Schweizer den Bilateralen zugestimmt haben und den Arbeitsmarkt geöffnet haben, war es meiner Ansicht nach für jeden naheliegend, dass der Sonderfall Schweiz, was die Arbeitlsoigkeit angeht, vorbei ist. Weil von den auch qualifizierten Ausländern aus Europa ein Druck [ausgeht]- die werden in die Schweiz kommen und die Arbeitslosigkeit wird steigen. Das ist glaub ich jedem Mann auf der Strasse intuitiv klar. Trotzdem schaffen es die Ökonomen und die Politiker, alle möglichen Stories zu erzählen, warum das nicht der Fall sein sollte. Und dadurch verwirrt man die Leute. Ich persönlich war immer der Ansicht, dass das beste was die Schweiz ihren Kindern mitgibt, ist ein Wirtschaftssystem, mit dem sie relativ sicher einen relativ guten Arbeitsplatz finden. Und ich glaube, das ist geopfert worden und ich bin nach wie vor der Ansicht, dass die Schweizer, aus rein egoistischen Perspektiven damit einen katastrophalen Fehler gemacht haben. Aber jetzt hat man das Volk überzeugt, da zuzustimmen und jetzt wird man sehen, wie das ausgebadet wird. Aber ich muss erst ehrlich sagen - und da sind meine ganzen Kollegen damit einverstanden - Es war wesentlich leichter vor dreissig Jahren in der Schweiz auf die Welt zu kommen als es heute ist in der Schweiz auf die Welt zu kommen und das Leben wird wesentlich härter und wesentlich schwieriger werden.

[M] Da stimme ich auch überein, dass eben die Öffnung, diese Liberalisierung, den Druck verstärkt. Und da ist nun die Frage, was tun um die... Ich denke, das die Antwort muss in der Richtung gehen, dass eben wenn Liberalisierung, wenn Öffnung, dann braucht es mehr Begleitung, braucht es auch, dass eben man sich um die Verlierer kümmert, oder beziehungsweise versucht, auch die Zahl der Verlierer überhaupt so klein wie möglich zu halten. Sei es bespielspielsweise, dass der Staat dann aktiver sein muss als er bisher gewesen ist. Also Liberalisierung würde eigentlich erfordern, dass einen aktiveren Staat - das haben die skandinavischen Ländern ja auch voirdemonstriert - das heisst dann letztlich auch beispielsweise mehr Staatsausgaben im Bildungsbereich, damit die Leute sich eben für die qualifiziertenb Stellen sich auch dafür bewerben können und gegenüber ausländischen Konkurrenten dann entsprechend auch und das heisst mehr Staatsausgaben heisst je nach dem eben auch mehr Staatsquote. Das würde dann eben wieder schlechtgeschrieben oder dann schlecht hingestellt alsob das die Wirtschaft bremsen würde. Ich denk, da zeigt sich darin auch, dass die Ökonomie oder das Wirtschaftswissen eine interessengeleitete Wissenschaft ist, dass man eben verschiedene Meinungen hat, verschiedene Positionen. Und das war eigentlich eines meiner Ziele, auch in diesem Buch zu zeigen, es gibt nicht die Ökonomie. Es gibt nicht das Expertenwissen, sondern es gibt verschiedene Experten. Ich hab micxh ja auch nicht einfach darauf kapriziert, eigene Ideen zu bringen, sondern vielmehr Ökonomen, Experten zu Wort kommen zu lassen. Eben, die eine andere Meinung haben, die in der Öffentlichkeit, die in der Medienöffentlichkeit eigentlich viel zu wenig Echo finden.

[H] Markus Mugglin legt in seinem Gegendarstellungsbuch dar, wie eine Medienmehrheit sich immer wieder auf dieselben Wirtschaftsexperten abstützt. Auf jene Experten, die einer radikalen Liberalisierung das Wort reden, die dem Staat die Flügel stutzen möchten. Noch mehr ihn auf einen Sparkurs - kostze es was es wolle - bringen möchten. Und die nur eines kennen: Wachstum.

[U] Wo ich einverstanden bin ist, dass sowohl in der Schweiz, wie auch in Deutschland waren sich früher alle Parteien darüber einig, dass Wachstum nur möglich ist wenn das Gros der Bevölkerung reich ist. In Deutschland war nach dem zweiten Weltkrieg ganz klar, man musste dfür sorgen, dass die Arbeiter genug Geld haben, sich ihr Haus zu kaufen, Ihr Auto zu kaufen und so weiter. Wenn man heutzutage mit dem Gedanken kommt, wird man schon fast alle Linker dargestellt.

[M] Dabei war ja das ein Christdemokrat, die - Ludwig Erhardt, die soziale Marktwirtschaft.

[U] Ja ja, was nach dem zweiten Weltkrieg rechte Gedanken waren sind heute linke Gedanken geworden. Ich habe das Gefühl, dass in der Schweizer Politik sehr viel geleitet wird dadurch, dass die reichsten zehn Prozent - in allen Parteien inzwischen - sehr gut vertreten sind. Und das man Tendenz hat, die ärmeren Teile der Bevölkerung zu vergessen. Und ich bin überzeugt, dass das längerfristig ein massiver fehler ist. Dass man sich nur auf das Wohlergehen eines sehr geringen Anteils der Bevölkerung konzentriert.

[H] Das sagen Sie als Ökonom und nicht als sozial denkender Mensch.

[U] Man bringt eigentlich den Studenten in den ersten Semester bei, dass es sinn der Ökonomie ist, dafür zu sorgen, das es dem Grossteil der Bevölkerung gut ist. Wenn jetzt aus verschieden Gründen zumindest ein Teil der ökonomen sich den Interessen der gruoppen verkauft hat, die nur an die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung denken, dann heisst das nicht, dass das der Sinn derÖkonomie ist, sondern das heisst, dass diese Ökonomen einen Grossteil der echten Wirtschaftsproblematik aus dem Auge verloren haben oder bewusst vergessen.

[H] Viele Wirtschaftsexperten stellen sich in den Dienst derjenigen, die schon viel haben, meint also Thomas Ungern. Aber wenn man sich in der Bevölkerung umhört, sind Klagen über die Langsamkeit, Ungeschicklichkeit des Staates gang und gebe. Sehr beliebt ist doch auch die Ansicht, dass wenn die Privaten dieses oder jenes Problem zu lösen hätten, ginge das doch viel schneller und billiger als wenn es der Staat mit seiner Behäblichkeit in Angriff nimmt.

[U] Das liegt natürlich daran, dass erstens mal niemand gerne Steuern bezahlt und man den Leuten gerne vorgaukelt, dass sie vom Staat die gleichen Leistungen erhalten können und weniger bezahlen müssen. Und zweitens vergisst man tendenziell, dass der Staat sicherlich Fehler macht und dass die Privatwirtschaft mindestens genau so grobe Fehler macht, die im Endeffekt den Kunden genau so viel kosten. Was die Swissair gemacht hat, war ein privatwirtschaftlicher Fehler. Die Milliarden, die die UBS in Genf verbunkert hat, das war ein privatwirtschaftlicher Fehler. Aber das vergisst man tendenziell. Wenn sich die Schweizer Manager angucken, sich angucken was die für Blödsinn machen. Und dann wird so getan alsob der Staat Geld verschwendet und die Privatwirtschaft effizient ist. Das ist eine Glanzleistung! Gucken Sie sich den Alder an. Etwas über drei Milliarden Franken hat der verloren,

[M] - ... von der Swisscom... Der Alder von der Swisscom -

[U] indem er da Debitel in Deutschland gekauft hat. Und nachdem er dreitausend Millionen Franken verloren hat, schafft er es noch, sich in der Schweiz als besonders erfolgreicher Wirtschaftsmanager feiern zu lassen. Das ist doch eine eigentliche publizistische Glanzleistung!

[H] Ja weshalb ist das so? Weshalb funktionniert das so in der Öffentlichkeit?

[U] Da müssen Sie die Journalisten Fragen, die so tendenziöse Berichterstattung machen.

[H] Ich frag mal den Journalisten Markus Mugglin. Weshalb ist das so?

[M] Es hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, also generell in der Medienlandschaft, also Personen, Personen, nochmals Personen. Das heisst also, es gibt eben diese CEOs und man fragt nicht andere Leute in den Unternehmen, was läuft, was läuft nicht rund. Und diese Art Personenkult, die ist eigentlich eben auch in den Wirtschaftsmedien und in der Wirtschaftsberichtserstattung viel mehr präsent als es vor einigen Jahren noch war. Also, das denke ich, ist eine generelle Tendenz. Allerdings meine ich, dass es - wenn es dann um die Bevölkerung geht, dann gibt es zwar Hinweise, dass das Ansehen der Politiker noch weniger gut ist als das Ansehen der Wirtschaftsführer. Aber es gibt international die Tendenz - gerade gestern ist eine neue Umfrage auch diesbezüglich herausgekommen, eine Gallup-Umfrage, die sagt das also auch das Ansehen der Wirtschaftsführer überhaupt nicht sehr gross ist oder sehr hoch ist, sondern dass eigentlich das Vertrauen in die Politiker noch kleiner aber auch das Vertrauen in die Wirtschaftsführer auch sehr klein ist. Das heisst, es gibt von daher eigentlich Vertrauensschwund überall, auch wenn es dann eigenartig ist wenn in einem Kanton Obwalden dann nachher wieder die Leute zu 85 Prozent eben dafür sind, dass möglichst viele ganz ganz reiche Leute zu ihnen kommen und deshalb ihnen eigentlich gewisse Steuererlasse geben. Und da ist das Bild dann einigermassen wiedersprüchlich dann auch.

[H] Aber grundsätzlich gilt, was Interessen gut vorgekauit haben, vorbereitet und gut präsentieren, das kommt dann auch in den Medien. Diejenigen die abwägen, die differenzieren, sind schwer vermittelbar.

[M] Das hat sich schon früher gezeigt, in Untersuchungen in den 80ger Jahren, wie funktionnieren die Medien, dass was präsentiert wird auf dem Teblett serviert wird, geschickt vorformuliert wird, das kommt auch in den Medien durch und das glaub ich haben gewisse Leute, eben besser begriffen oder schneller begriffen als Leute, die sich eher zurückhalten und vielleicht denken, ihre Aufgabe ist mal, die Analyse ud weniger PR zu betreiben.

[H] In der Schweiz wird - weiss der Wirtschaftsprofessor Thomas Ungern - in der Schweiz wird ein Klima der Unsicherheit geradezu gepflegt. Thomas Ungern nimmt dabei vor allem Bundesrat Pascal Couchepin ins Visier, der immer mal wieder Schreckensnachrichten für die kleinen Leute verbreitet. Spräterer rentenbezug, kleinere Renten, höhere Gesundheitskosten undsofort. Die Verunsicherung sollte wohl die Schweizer Bevölkerung aufrütteln, sollte Ansporn zu grösserer wirschaftlicher Fitness sein.

[U] Ich habe es noch nie genau begriffen, dass es besonders sinnvoll ist, fit zu sein. Schicken Sie mal den Pascal Couchepin auf den Zwanzig-Kilometerlauf. Ich glaube nicht, dass er sehr gut aussehen würde. Und wenn Sie ihn fragen warum, würde er wahrscheinlich sagen: "Ich bin nicht besonders fit und ich fühle mich auch ganz gut so." Es wird Ihnen glaube ich jeder Akademiker sagen, dass zwangsweise jede Bevölkerung kompetente und weniger kompetente Leute hat. Das ist einfach genetisch vorgegeben. Da kann man mir der Bildung machen, was man will. Es wird halt immer die besseren und die weniger guten geben. Und die Anforderung an die Gesellschaft ist, dafür zu sorgen, dass auch die, die von der Natur her weniger Glück gehabt haben, ein gutes Lebensauskommen haben. Und diese fundamentale Aufgabe der Wirtschaft wird meiner Ansicht nach zurzeiz derzeit vergessen.

[M] Ich denke auch, dass ein wesentlicher Grund, dass die Debatte falsch läuft in der Schweiz, ist, dass in dieser Unsicherheit, dass man den Leute Angst macht, dass man sagt man müsse fit werden, man müsse sich auf schwierigere Zeiten einstellen und gleichzeitig aber in Vergleich zu skandinavischen Ländern wo man ja sich auch liberalisiert, wo man sich öffnet, wo man sich öffnen musste gegenüber der europäischen Union, weil man dort eben Teil des Binnenmarktes ist. Dort gibt es viel mehr diese Debatte auch, dass man sagt, dass man sich begleitet fühlt, dass man mehr für die Bildung macht, dass man mehr für Kindertagesstätten macht beispielsweise, damit die Leute auch Familien- und Berufsleben unter einen Hut bringen können. Das heisst, der Staat ist viel mehr auch Dienstleister oder eine Instanz, die auch Angebote macht. Es gibt nicht zufälligerweise auch das Motto in Dänemark, dass man sagt Fordern und Fördern. Und diese beiden Teile, die spüre ich in der Schweiz nicht, sondern man macht eigentlich Angst und sagt man sei zu wenig bereit, sich dem Wettbewerb zu stellen. Die ganz Binnenwirtschaft, die sei verkrustet, sei abgeschottet, sei nicht wettbewerbsfähig. Es wird eigentlich immer mit negativen Urteilen werden die Leute konfrontiertund ich glaube, das ist der falsche Ansatz, auch der falsche Ansatz wenn eben im Bundesrat jetzt wenn es um die Staatsquote geht, wenn es um die Staatsausgaben geht, wird immer nur geredet wir müssen sparen,wir müssen sparen, wir müssen die Ausgaben kürzen, wir müssen Ausgabenkürzungsprogramme jetzt dann beschliessen. Und es gibt nicht diese Diskussion auch, was kann der Staat auch für die Gesellschaft tun. Dabei, das denke ich, das ist nicht nur eine gesellschaftspolitische Aufgabe, sondern das ist durchaus auch ein Teil der Wirtschaftspolitik, die sein müsste.

[H] Gut und schön. Wir sollten also nicht so sehr auf die Schwarzmahler hören. Aber bleibt nicht die Tatsache, dass der Staat horrend verschuldet ist?

[H] Die Schweiz leiht dem Rest der Welt unendliche Beträge. In tausendfache Milliardenhöhe hat die Schweiz Auslandsvermögen. Was wichtig ist, ist dass Bund und Kantone sich von der Bevölkerung ungefähr zweihundert Milliarden Franken geliehen haben. Und man versucht immer so darzustellen, alsob das ein grösseres Drama sei. Erstens ist das verglichen mit den meisten anderen Ländern kein grösseres Drama. Zweitens mal ist man zu diesem Wert offensichtlich nicht in der Lage, sich zu fragen, welche Kapitalgüter stellt der Staat der Bevölkerung zu Verfügung, als Gegenleistung zu diesen zweihundert Milliarden Franken. Und da wird man auch zwangsweise zum Schluss kommen, dass was an Kapitalgütern da ist, das Elektrizitätsnetz, das Strassennetz und was da sonst noch alles steht, ein zig-faches von dieser Schuld ist. Es ist erstaunlich, dass man nicht in der Lage ist, für die Verschuldung des Staates, die selben Kriterien anzuwenden wie in der Verschuldung von jedem privaten Unternehmen. Wenn Nestle sich 20 Millionen leiht um ein neues Verwaltungsgebäude zu bauen, dann sagt niemand "Um Gottes Willen, Nestle hat sich für zwanzig Millionen verschuldet." Wenn der Bund genau das gleiche tut, macht man daraus ein grösseres Drama. Die Schweiz leidet bewusst oder unterbewusst an grösseren perspektivischen Verzerrungen.

[H] ... diagnostiziert Thomas Ungern. Und Markus Mugglin zur Staatsschuld ...

[M] Nicht die Höhe der Verschuldung ist ein Thema oder ein Problem, da schneidet die Schweiz nach wie vor sehr gut ab, hat auch Vermögenswerte, bin ich einverstanden, aber die Zunahme bei diesen Verschuldungsfaktoren, das ist ein Thema oder muss ein Thema sein, das gelöst werden sollte, weil es Gelder bindet, die eigentlich in dem Masse nicht dort gebunden werden sollten. Gerade die Arbeitslosenversicherung, die jetzt neuerdings wieder ein Defizit hat. Das war auch ein Fehler weil man zu wenig gemacht hat im Bereich Arbeitsmarkt, oder weil man zu früh auch dieFinanzierung gekürzt hat, in der falschen Annahme alsob jetzt in den letzten zwei Jahren die Lage sich bessern würde gegenüber vorher. Einfach so automatisch hat sich der Staat da zurückgezogen oder gesagt, die Leute müssten weniger zahlen. Das heisst ein selbtsverschuldetes Loch. Die Gefahr besteht, dass dann die Arbeitslosen letztlich wieder darunter leiden müssen, statt dass man die Finanzierung jetzt an die hand nimmt, damit diese Löcher gestopft werden.

[U] Es ist sicherlich richtig und sehr erfreulich, dass die Schweiz ein sehr teures und sehr dichtes soziales Netz hat. Und dieses Netz kann nur so lange existieren, wie nur ein geringer Anteil der Bevölkerung in Ausnahmesituationen dieses Netz braucht. Und ich habe das Gefühl, wenn es darum geht, diese sozialen Institutionen zu sanieren, dann wird sehr viel darčber geredet, wie kann man dafür sorgen, dass die, die in einer Notsituation kommen, weniger kriegen. Aber es wird relativ wenig darüber nachgedacht, wie kann man dafür sorgen, dass weniger Leute in eine Notsituation kommen. Und nun ist es eindeutig so, dass man entweder mitempfindet, dass weniger Leute aus dem Arbeitsprozess herausgeschmissen werden oder das soziale Netz in der Schweiz wird nicht mehr finanzierbar sein. Und ich persönlich würde es sehr bedauern, wenn man versucht, das Problem über Kürzung der Leistung zu lösen und nicht sehr sehr hart daranm arbeitet, um Wege zu finden, dass auch die weniger qualifizierten Teile der Bevölkerung nicht aus dem Arbeitsprozess herausgeschmissen werden.

[H] Der Wirtschaftsjournalist und der Professor. Der eine als Buchautor genau abwägend, der andere als Lehrender mit einem Schuss Polemik die Dinge aus seiner Warte auf den Punkt bringend. Und beide, Markus Mugglin und sein Leser Thomas Ungern darin einig, dass in der öffentlichen Diskussion um die Wirtschaft in der Schweiz einiges - das meiste sogar - schief läuft. Falsche Themen werden gesetzt, wichtige Daten nicht berücksichtigt und die Perspektiven verzerrt. Und die Wirtschaftswissenschaftler schliesslich, singen das Lied jener, deren Brot sie essen. In der Hoffnung, dass Wünschen nützt - was bleibt denn zu wünschen?

[U] Ganz konkret würde ich wünschen, dass das statistische Bundesamt Daten veröffentlicht, nicht nur wie das Brutoszialprodukt wächst, sondern auch, wie sich die Einkommensverteilung in der Schweiz entwickelt und wie sich die Einkommen der ärmeren Schichten der Bevölkerung entwickeln. Auf einer generellen Ebene wünsche ich, dass man sich nicht festhakelt am Brutosozialprodukt, sondern erstmal sich interessiert für die Sicherheit und den materialen Wohlstand des Grossteils der Bevölkerung. Dass man diskutiert über Zahlen, die relevant sindund nicht über zahlen, die eigentlich konkret niemand besonders interessieren.

[M] Mein Anliegen wäre eigentlich das, dass man weniger einfach nur über Wettbewerb redet, nur über weniger Staat redet und das als die Rezepte anpreist, die dazu führen würden, dass die Schweiz aus dieser angeblichen Wachstumsschwäche herausfinden würde. Sondern dass man vielmehr auch gleichzeitig anerkennt, dass wenn mehr Liberalisierung, wenn mehr Wettbewerb jetzt zum Teil stattfindet, dass die Leute auch begleitet werden müssen, dass die Ängste abgebaut werden müssen, dass man auch neue Sicherheiten, wie es Ungern-Sternberg gesagt hat, irgendwie auch in dem Sinne gegeben werden müssen, dass man sagt, ja, wir kümmern uns auch um das, um die negativen Folgen, die der Wettbewerb nach sich ziehen kann. Und man müsste viel mehr Wert darauf legen, eben nicht nur an die Organistion, die Wettbewerbe, an die die Unternehmen sich betätigen müssen, sondern vielmehr auch eben die Vorteile die die Schweiz noch immer hat aber die in gefahr sind meies Erachtens, die Vorteile, dass möglichst viele Leute eine Arbeit finden, intergiert sind in dem Arbeitsmarkt, dass man viel mehr Anstrengung in der Richtung macht, dass das auch so bleibt.


"Gegendarstellung. Wer die Schweizer Wirtschaft bremst" Autor: Markus Mugglin Verlag: Xanthippe, Zürich

ecoglobe meint, dass die sachliche Abwägung eher auf der Seite von Herrn Ungern-Sternberg zu finden ist. Herr Mugglin hat etwas Kritik aber er scheint der heutigen Entwicklung im Prinzip beizupflichten, wenn man ein paar Hilfsprogramme einleitet um die Schmerzen zu lindern. Bildung und Innovation sollen ausgewanderte Arbeitsplätze zurückbringen, genau auf der Linie der Globalisierer. Alsob es im weit billigeren Ausland keine Bildung und Innovation gäbe. Alsob es nicht schon seit Jahren auch eine Akademikerarbeitslosigkeit gäbe. Damit erweist Herr Mugglin dem Herrn Bundesrat Deiss doch einen schönen Dienst. Das Volk soll nur etwas Mut haben.
Herr Ungern-Sternberg ist viel prinzipieller und sachlicher in seinem Urteil. Seine Kritik wird sicher nicht gern gehört.
Herr Heule bringt die verschiedenen Probleme sehr treffend auf den Punkt.

Wichtig erscheinen jene Aussagen über die Einseitigkeit der führenden Klassen und die kritiklose Berichterstattung in den Medien. Die "Herrschenden" beklatschen sich gegenseitig, ohne dass sie merken was sie wirklich zu verantworten haben, ohne wirkliches Verantwortungsbewusstsein für Land und Volk als ganzes.
Am folgenschwersten finden wir, dass bei der sogenannten "nachhaltigen Entwicklung". Die MeinungsführerInnen in Politik und Wirtschaft haben keine blasse Ahnung, weder von der Dringlichkeit der Umweltproblematik noch von den realen Möglichkeiten verschiedener vorgeschlagenen "Lösungen". Alle meinen immer noch, man könne weiter wachsen


Transkript sowie ecoglobe Anmerkungen [eg:]: Helmut Lubbers
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