Radio DRS1 Rendez-Vous vom 9.5.2008Transcript und ecoglobe Kommentare.Der Erdölpreissteigt praktisch täglich von Rekordmarke zu Rekordmarke, aktuell eben auf über 125 Dollar. Häufigste Begründung dafür: Die Volkswirtschaften von China und Indien würden derart boomen [sprich "buhmen" = schnell wachsen], dass deren Durst nach Erdöl, den Treibstoff aller Wirtschaften, so gross sei, dass die Nachfrage kaum gedeckt werden kann. Doch, stimmt diese Aussage? Und falls ja, weshalb fördern die Erdölländer nicht einfach mehr und beruhigen so die Märkte? - Erläuterungen von Auslandredaktor Massimo Agostinis. Immer lauter werden die Stimmen, die behaupten, die internationalen Märkte seien mit genügend Erdöl versorgt. Es gebe eigentlich gar keinen Grund für den massiven Preisanstieg. Diese Experten sagen, China, Indien und der Mittlere Osten verbrauchten zwar tatsächlich immer mehr Erdöl, doch werde dieser Anstieg durch einen signifikanten Rückgang des Konsums in den USA, dies wegen der schwächelnden Wirtschaft, und in Europa, wegen Sparanstrengungen, wieder kompensiert. Die Aussagen haben Gewicht, stammen sie doch von namhaften Experten aus dem Investment- und Energiebereich. Wirklich kennen tut die Situation aber niemand. Das internationale Ölgeschäft ist eines der intransparenstesten überhaupt. Die OPEC-Länder, beispielsweise, in deren Böden rund 30 Prozent aller Ölreserven schlummern, geben zwar Förderquoten an, doch ist längst bewiesen, dass diese nicht stimmen. Förderquoten werden in vielen Ländern wie ein Staatgeheimnis gehütet, da es Aufschluss über die wirtschaftliche und damit politische Potenz der Länder gibt. Tatsache ist aber, dass in vielen Ländern die Vorkommen zu Neige gehen. Verbrieft ist das beispielsweise für Norwegen, Grossbritannien und Mexiko. Einen ähnlichen Verdacht hegt man für Russland. Und sogar Saudi-Arabien produziere am Limit, heisst es. Ganz abgesehen davon, wieviel Öl verbraucht und wieviel Öl gefördert wird, das Geschäft mit dem schwarzem Gold benötigt sehr viel Geld. Jahrelang wurde die Erforschung neuer Felder vernachlässigt. Zum einen, weil die Preise für Erdöl bis vor sieben Jahren sehr tief waren - milliardenschwere Investitionen sich also kaum gelohnt hätten. Anderseits misstrauten die Investoren der Preissteigerung, welche auf 2001 einsetzte. Das heisst, sie glaubten nicht, dass die Preise lange auf diesem Niveau verbleiben werden. Erst seit relativ kürzer Zeit wird wieder kräftiger in die Erforschung von neuen Ölfeldern investiert. Brasilien und Kasachstan trumpften bereits mit sagenhaften Funden auf. Doch die Branche misstraut solchen Meldungen. Zu oft waren sie in der Vergangenheit falsch. Ein letzter Punkt ist die Geologie. Nur gerade in Saudi-Arabien, Kuweit und im Irak kann am sinnbildlichen Hahn tatsächlich gedreht werden und es sprudelt Öl. Nur diese Länder können den Ölpreis kurzfristig beeinflussen. In allen anderen Ländern muss das Öl mühsam hochgepumpt werden, was extrem teure Anlagen nötig macht, Die, wie schon erwähnt, jahrzehnte lang vernachlässigt wurden und erst jetzt saniert werden. Für diese Sünde bezahlen wir heute auch den hohen Erdölpreis. ecoglobe> "Geologie" - das ist das Kernwort. Es ist der erste und der letzte Punkt. "Peak-Oil", das Jahr der höchsten jährliche Ölförderung, wird jederzeit erwartet. On heute, morgen oder in 2010 oder 2015, der Augenblick wird kommen, unausweichlich und unerbitterlich. Es gibt keinen Ersatz fürs Erdöl, das in allen Bereichen unseres modernen Lebens als Grundstoff und Kraftstoff dient. Und mit Optimismus, Hoffnung und allfälligen künftigen Erfindungen können wir leere Ötanks nicht füllen. Danach werden Industrie- und Agrarproduktion zurückgehen, wie auch die Transporte. Das bedeutet den von der Geologie erzwungenes Zurückschrauben der Globalisierung. Am besten werden jene Länder darstehen, die ein Maximum der Produkte des tagtäglichen Gebrauchs selber lokal herstellen. Weitsichtige Politiker - gibt es solche? - werden sich für eine Relokalisierung der Wirtschaft einsetzen. Leider sind die MeinungsführerInnen sich dieser Umstände nicht bewusst. Im Gegenteil. Obwohl wir die nicht-erneuerbaren Ressourcen der Erde immer schneller abbauen, ist die allgemein gehuldigte Politik jene des Wirtschaftswachstums. Wir verstehen das nicht. Es kommt uns vor wie ein Massenwahn. Wachstum scheint Pflicht, wie Optimismus und Hoffung. Entgegen aller Logik wird die Realität verdrängt. Helmut Lubbers ... 9 Mai 2008 |