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Gebremstes Wachstum?
Prof. Hans-Christoph Binswanger im Gespräch mit Susanne Brunner von DRS1

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Gebremst oder nicht,

Wachstum bleibt Wachstum, ganz konkret und materiell.

Denn jeder Franken Steigerung des Brutto-Inlandprodukts (BIP) bedeutet eine entsprechende Steigerung des Ressourcenverbrauchs.

Man merke: "Immaterielles", "entkoppeltes", "grünes", "nachhaltiges", "ökologisches" oder "anderes" Wachstum sind blosse Wortspiele, welche die angestrebte Nachhaltigkeit nur vortäuschen.

Wachstum bedeutet immer mehr Geld = mehr Materialaufwand und mehr Abfälle (Klimagase!), ohne Ausnahme.

Im Fragegespräch meinte Prof. Binswanger, das Wachstum könne durch Effizienzsteigerung in seinen Umweltauswirkungen gemildert oder kompensiert werden. Ein gewisses "gebremstes" Wachstum wäre also möglich ohne die Umweltbelastung zu erhöhen.

Materialeinsparung führt jedoch zu tieferen Umsätzen bei den Lieferanten. Bei normalen Marktbedingungen wird der Hersteller die Einsparungen auch dem Kunden weitergeben (müssen) und seine Preise nach unten anpassen, bei gleichbleibenden Margen.

Bei gleichbleibender Gesamtnachfrage mag der Hersteller Marktanteile gewinnen. Doch gesamtökonomisch führt die höhere Materialeffizienz zu einer Senkung des BIPs. Das ist das Gegenteil von dem was laut Wachstumslehre angestrebt wird.

Wenn die Preissenkung zu steigender Nachfrage führt, wird die Materialeinsparung dadurch wieder wettgemacht und hat man nichts gewonnen.

Höhere Ressourceneffizienz reduziert also das BIP: Schrumpfung statt Wachstum.

Der Ökonom Martin Wolf der Financial Times verwendet das Beipiel des Computers, der vom Umfang eines VW-Busses in 1948 zur heutigen Briefmarkenabmessung schrumpfte, bei enorm gesteigerter Leistungsfähigkeit. Dies würde zu weiterem Wachstum bei viel kleinerem Ressourcenverbrauch führen.
Diese Überlegung verstösst jedoch gegen das Prinzip der Einheit von Zeit und Materie.
Wenn man heute einen tragbaren Kleincomputer kauft anstelle eines Tischmodells, so bezahlt man weniger weil weniger Material und Arbeit aufgewendet werden musste. Dies führt zunächst einmal - im gleichen Zeitraum und beim gleicher oder sogar kleinerer Leistung - zu der durchaus erwünschten Ressourceneinsparung und damit zu einem tieferen BIP - in diesem Zeitraum.

In einem weiteren Punkt muss die Theorie von Prof. Binswanger hinterfragt werden.
Wachstum sei nötig damit Firmen Gewinn machen können. Es gäbe nur Wachstum oder Schrumpfung. Null-Wachstum wäre nicht möglich.

Dem kann man entgegenhalten, dass es hunderte von Generationen gegeben hat, bis zur modernen Industriegesellschaft, wo die Menschen ohne Wirtschaftswachstum gelebt haben. Wachstum war wegen beschränkten Raums und mangelder Rohstoffe gar nicht möglich.

Die einzige Voraussetzung für das Bestehen einer Firma ist, dass die Verkaufspreise der Produkte die Kosten decken, inklusive Abschreibung der Produktionsmittel natürlich.

Der Dorfsbäcker kann über Generationen hinweg seine Kundschaft bedienen, ohne Wachstum, insofern sein Rohstoffverbrauch die Umwelt nicht zerstört.

Wachstum ist also weder nötig noch erwünscht. Höhere Ressourceneffizienz kann die Folgen des Wachstums nicht kompensieren. Wachstum erhöht immer die Umweltbelastung.

Die Erde ist bereits weit über ihre Tragfähigkeit hinaus durch den Menschen überbelastet. Daswegen müssen wir gesundschrumpfen statt wachsen.

Das Wachstum der Neuzeit basiert ausschliesslich auf die Ausbeutung fossiler Energien und Rohstoffe, welche die Entdeckung und Anwendung neuer Technologien und das grosse Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum der Neuzeit ermöglicht haben.

In der kurz bevorstehenden Zeit der maximalen Öl- und Gasförderung wird auch unser Ressourcenverbrauch an Grenzen stossen, noch abgesehen von den Folgen des Klimawandels.

Die Menschen der Osterinsel haben Wachstum betrieben, bis die Insel keine Rohstoffe mehr hergab. Dann ist die Bevölkerung von 8000 auf wenige hundert Menschen zusammengebrochen.

Die Erde ist eine Osterinsel im Sonnensystem und die Menschheit auf dem gleichen Weg in den Kollaps. Wir verbrauchen nämlich weit, weit mehr als die Erde dauerhaft hergeben kann.

Wir verbrauchen das Kapital, wir schlachten das Huhn, anstelle vom Ertrag, von den Eiern zu leben.

Das Wachstum erhöht erst noch die Geschwindigkeit des Abbaus nichterneuerbarer Ressourcen. Dürfen wir so weitermachen oder sollten wir uns etwas anderes einfallen lassen als die blinde Befolgung der Theorien unserer Ökonomen?

Die Finanzkrise ist Folge des gleichen Wachstumsdenkens. Nun ist in der Tat Zeit zum Umdenken - radikal.

Die Ziele des Lebens - etwas Glück, Zufriedenheit, befriedigende Tätigkeit, ein Dach über dem Kopf, einen gesunden und sicheren Schlaf - das muss man erreichen mit weit weniger Materialverbrauch, ohne den gewaltigen und umweltdestruktiven Umweg über die vielen Produkte der Neuzeit.

Es muss anders gehen, langsamer, mit minimalen Transporten und langlebigen Produkten. Dann haben wir viel gewonnen auf dem Weg zu einer überlebensfähigen Gesellschaft.

Helmut Lubbers
Vergleichen Sie:
  • "Differenzierte Kritik am Wirtschaftswachstum"
  • Leben auf zu grossem Fuss
  • Erst-Ulrich von Weizsäcker im DRS Tagesgespräch vom 20.2.2009
  • "Gegen den Zwangskonsum"
  • "Comparable adventurism" with food and & fuel
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    Teilniederschrift des Fragegesprächs (Minute 19-22)

    Frau Susanne Brunner[Br]: Sie klingen ironisch, Herr Binswanger, alsob Sie selbst nicht recht daran glaubten, dass ein Umdenken stattfinden würde, jetzt gerade in dieser Zeit.

    Herr Prof. emer. Hans-Christoph Binswanger [Bi]: Jetzt ist tatsächlich zu wenig. Man hat etwas angedacht. Ich erwähne nicht - auch dass es zum Beispiel neue Ideen gibt, die nicht so weit gehen wie ich sie hier geschildert habe sondern zum Beispiel Herr Dr. Hummler von der Wegelin Bank. Er hat zusammen mit gewissen Nationalräten eine Idee lanciert, dass man auch eben die Geschäftsführer von den Vorständen in die Haftung miteinbeziehen muss. Das geht ja nicht ganz so weit wie meine Vorschläge mit der Neuformulierung der Aktiengesellschaften unter der Stiftungsidee. Aber es wird immerhin da etwas angedacht, was man auch weiterverfolgen sollte. Aber das sind wenige Ideen und die meisten scheuen sich davor, überhaupt neue Ideen anzusprechen.

    [Br] Kann man die überhaupt ansprechen? Ich meine - jetzt einmal abgesehen vom Finanzsystem - aber die ganze Wirtschaft ist ja darauf aufgebaut, dass es, auf Konsum und das Wachstum. Und wenn es kein Wachstum gibt, hat man uns immer gesagt, dann gibt's den Kollaps.

    [Bi] Also ich bin auch der Meinung und ich habe das in meinem Buch "Die Wachstumsspirale" näher erläutert, dass es ein gewisses Wachstum braucht, dass wir ohne ein gewisses Wachstum nicht die Marktwirtschaft aufrecht erhalten wollen, können, weil nur dadurch möglich ist, dass auch gewisse Gewinne entstehen, die die Risiken die da der Unternehmer übernehmen muss auch gedeckt werden. Aber es sollte dann eben so weit die Wachstumsrate gesenkt werden können und damit kommen wir auch auf die Umweltproblematik, dass durch zusätzliche Massnahmen der Mehrverbrauch an Produkten doch so gestaltet werden kann, dass die Umweltbelastung dadurch nicht weiter wächst, dass die Effizienz des Ressourcenverbrauchs erhöht wird und dass dieses Wachstum vor allen Dingen geschieht durch Erhöhung der Effizienz des Ressourcenverbrauchs.

    [Br] Also das heisst eigentlich nicht Nullwachstum. Etwas Wachstum, aber nicht so, das Wachstum, was man propagiert hat.

    [Bi] Nicht überschiessend, das Wachstum. Und es geht ja immer hier ums globale Wachstum. auch das kann sich aus ganz unterschiedlichen Wachstumsraten der verschiedenen Länder und Kontinente zusammensetzen.

    [Br] Wie überzeugt man die Wirtschaft, die Leute, das es überhaupt noch einen anderen Weg gibt?

    [Bi] Ja die Hauptsache ist jetzt mindestens sagen wir im Ansatz passiert, eben durch die Krise, nicht? Es geht also darum, gleichzeitig ökologische und ökonomische Anforderungen zusammenzubringen, in dem Masse, dass man die Wirtschaft so restrukturiert, dass sie beiden Anforderungen genügt, nämlich sowohl stabilere Wirtschaftsgänge, weniger Ausufernde Spekulation, dass sind ökonomische Anforderungen, und gleichzeitig eben auch mehr umweltkonform gestaltet, in dem Sinne, dass es vor allen Dingen die Ressourceneffizienz genügt um das entsprechende Wachstum zu kompensieren sodass also die Umweltbelastung nicht weiter ansteigt.