Jetzt kommt ein Text, der genau zehn Jahre alt ist. Den hab ich Februar oder März 1990 geschrieben. Hat ein Bisschen was mit der Wende zu tun. Aber der spielt in der, von damals aus gesehen Zukunft. Also 1995 oder 98 spielt der. Die legendäre letzte Zigarette. Ich möchte Ihnen heute Fräulein Daniela Fricke vorstellen. Sie ist 25 Jahre alt, Berlinerin, und auf den ersten Blick wirkt sie wie eine ganz normale moderne junge Frau, die gern tanzen geht. Stimmt das? Ja, das stimmt. Ich geh unheimlich gern tanzen. Aber wenn Sie dann in der Diskothek mit anderen jungen Menschen ins Gespräch kommen und Sie dann nach Ihrem Beruf gefragt werden, dann scheuen Sie sich doch erst einmal, unverblümt Antwort zugeben. Ich fall natürlich nicht gleich mit der Tür ins Haus. Entweder ich erfinde irgendwas oder sage, was auch tatsächlich in meiner Steuerkarte eingetragen ist. Justizbeamtin ist da offiziell eingetragen. Ja, Justizbeamtin. Worunter man sich ja gemeinhin eines jener grauen Mäuschen vorstellt, die bei Gerichtsverhandlungen das Protokoll schreiben. Wir wollen aber jetzt nicht länger um den heissen Brei herum reden. So heiss ist der Brei ja auch nicht. Wir wollen die Zuhörer jetzt nicht weiter auf die Folter spannen. Wobei in Ihrem beruflichen Zusammenhang von Folter zu sprechen vielleicht ein Bisschen makaber ist. Ich bitte, das zu entschuldigen Fräulein Fricke. Sie sind von Beruf Hinrichtungshostess. Ja. Obwohl, eigentlich heisst es gar nicht Hinrichtungshostess sondern Assistentin bei der Vollstreckung der Höchststrafe, aber das klingt so blöd. Wie? Assistentin bei der Vollstreckung der der was? Der Höchststrafe. Das klingt blöd, nicht? Nicht nur blöd. Das ist ja mal wieder eine grausame Bürokratenstilblüte. Wer auf sowas bloss einaml kommt! Das erinnert mich an jene städtische Behörde, welcher Stadt will ich hier höflich verschweigen, die Abfallgebührenbescheide verschickt hat und die Empfänger anredete mit sehr geehrte Abfallgebührenbescheidempfänger. Abfallgebührenbescheidempfänger. Das ist ja noch schlimmer als sehr geehrter Steuerbürger. Ja. Dieses Ambtsdeutsch ist eine Pest, gegen die wir wir hoffentlich nicht mehr lange machtlos sind. Aber, zurück zu Ihnen, Fräulein Fricke. Wie sieht eigentlich der Alltag einer Hinrichtungshostess aus? Och, ganz normal. Um halb acht klingelt der Wecker. Mein Freund kocht mir Tee, holt mir frische Schritten. Ihr Freund weiss, was Sie beruflich machen? Natürlich weiss er das. Und da gab’s nie Probleme? Als ich’s ihm sagte da musste er natürlich schon kurz schlucken aber da kannten wir uns ja schon eine Weile. Als ich ihn kennen lernte, das war nach einem Konzert - der Robbie, mein Freund, der ist nämlich Rockmusiker - hab ich natürlich noch Justizbeambtin gesagt aber inzwischen ist das kein Problem mehr. Ich kann mit dem Robbie über alles reden. Der hat total gute Ansichten. Also. Ihr Freund holt Ihnen frische Brötchen und dann - Dann fährt er mich zur JVA. Das heisst Justizvollzugsanstalt. Ja. Aber das klingt so blöd. Wir sagen immer nur JVA. Und da zieh ich mich dann meine Uniform an. Sie haben mir vorhin ein Foto gezeigt. Das ist eine sehr hübsche eine Uniform. Das ist Ansichtssache. Ich finde sie ein Bisschen ordinär. Von mir aus müsste der Rock zum Beispiel nicht so extrem kurz sein. Och. Sie können so etwas doch tragen! Ja. Aber zum Beispiel meine Kollegin Dagmar, die wiegt 115 Kilo. Die kommt sich schon ein Bisschen bescheuert vor. Die ist neulich von einem Exekutanten auch total übel angemacht worden. Die war den ganzen Tag noch total sauer. Wie viele Kolleginnen sind Sie denn inzwischen? Wir sind jetzt 21. Zwei in Berlin und der Rest ist so verteilt. Nur das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern haben noch keine. Die sind noch Hände ringend am Suchen. Nanu. Wieso denn. Es gibt doch auch in Mecklenburg sehr hübsche Mädchen und selbst im Saarland müsste doch irgend etwas Properes aufzutreiben sein. Aber, das sind wohl deren regionale Probleme. Nun erzählen Sie uns doch bitte mal etwas von Ihrem Berufsalltag.Den muss man sich nicht so aufregend vorstellen. Das meiste ist ja Papierkram. Todesurteile fotokopieren, Sterbeurkunden versandfähig machen und pipapo. Hinrichtungen haben wir momentan nur so zwei am Tag. Und bei denen haben wir die Aufgabe, den Verurteilten auf seinem letzten Weg zu begleiten, ihm das letzte Lächeln zu schenken, obwohl das jetzt ein Bisschen blöd klingt natürlich. Das find ich gar nicht. Das find ich sehr poetisch. Das letzte Lächeln. Na ja. Das hat sich der Gesetzgeber ja auch so gedacht, dass dem Menschen der letzte Gang leichter fällt, wenn sie dabei von einer jungen Frau angelächelt werden. Das find ich auch ganz einleuchtend. Aber andererseits erwähnten Sie ja vorhin kurz Ihre 115-Kilo-Kollegin. [...] Was hat sie denn geschrieen? Ach. Sie hätte in ihrem Leben nie geraucht und den Schokoriegel, den könnte ich mir ... Also. Das kann ich beim besten Willen nicht wiedergeben. Das konnte ich noch nicht mal dem Robbie, also meinem Freund erzählen. Das waren unvorstellbare ausdrücke. Aus dem Unterleibsbereich. Der Douggie ist auch total schlecht geworden. Das war so schlimm, dass er sich übergeben musste und zwar - ich mein das klingt jetzt blöd - aber sie hat sich in den Telefax übergeben. Das Gerät war ruiniert. Es kamen merkwürdige Anrufe aus München, dass man das ja gar nicht lesen könne. Und kurze Zeit später fing das mit ihrer Drüsengeschichte an. Deswegen fand ich Ihre Bemerkung vorhin ja auch so gemein. Ja. Wenn ich da die näheren Umstände gekannt hätte, hätte ich mir natürlich auf die Zunge gebissen. Ach, Schwamm drüber. Die Hinrichtung selber ist dann übrigens ziemlich sang- und klanglos über die Bühne gegangen. Ich hab mir dann auch nicht mehr grosse Mühe gegeben, freundlich zu sein. Jedenfalls gelächelt hab ich nicht. Das können Sie mir glauben. Das glaube ich Ihnen auch, nach dem, was man jetzt über die feine Dame so weiss. Dreitausend Paar Schuhe. Das muss man sich mal vorstellen. Ach. Und wenn ich bloss an diese angeblichen militärischen Sperrgebiete denke. Ja ja. In einem dieser "Militärische Sperrgebiete" wurde ja gerade wieder vor einer Woche eine Villa mit 40 Paar Schuhen und 5 fabrikneuen Videorekordern gefunden. Die waren noch original-verpackt. Wir sind doch Jahre lang systematisch betrogen und belogen worden. Wenn wir doch damals etwas geahnt hätten. Aber jetzt ist der Spuck vorbei und wir können wieder frei atmen. Aber wir sollten jetzt wieder zu Ihnen, Fräulein Fricke, kommen. Eine Frage noch. Was für ein Verhältnis haben Sie denn eigentlich zu den Scharfrichtern, zumal das ja meines Wissens durch die Bank Männer sind. Also meine ganz persönliche Meinung ist, dass das ja auch nichts für eine Frau ist, obwohl es ja in anderen Ländern durchaus auch Scharfrichterinnen gibt, zum Beispiel die Anita Chuan aus Singapur. Die hat mal bei uns in der Ausbildung ein Referat gehalten. Allerdings auf Englisch. Ich hab eigentlich nur verstanden, dass sie auch wahnsinnig gern tanzen geht. In sofern war sie mir auch ganz sympatisch und was unseren deutschen Scharfrichtern angeht, muss ich sagen, dass der eine oder andere mir am Anfang schon etwas unheimlich war. Aber das gibt sich ja dann, wenn man die privat kennen lernt. Die meisten sind in den Job ja auch nur so reingeschlittert. Viele waren vorher Lehrer oder irgendwas anderes gewesen. Also. Sie könnten sich nicht vorstellen, selber als Scharfrichterin zu arbeiten. Nee. Eingentlich nicht. Also. Ich weiss, es klingt jetzt irgendwie blöd. Aber ich könnte das irgendwie nicht. Wie wird man denn Hinrichtungshostess. Man muss über 18 sein, braucht Realschulabschluss und einigermassen aussehen sollte man schon. Die Bewerbungsunterlagen kann man direkt an das deutsche Justizministerium in Berlin schicken. Die Zeit brennt. Wenn sie uns jetzt vielleicht zum Abschluss noch eine besonders witzige oder skurrile Begebenheit aus Ihrem Berufsalltag erzählen könnten. Na ja. Was direkt Witziges hab ich nicht. Aber eher was Skurriles, würde ich mal sagen. Wir hatten da mal so einen Studenten hingerichtet. Na ja. Und der war, hmhm, der war so. Hehe. Also ich weiss, es klingt jetzt blöd. Aber ich kann das irgendwie nicht laut sagen. Nur zu. Sie brauchen bei uns kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Kann ich Ihnen das vielleicht ins Ohr flüstern? Ja. Von mir aus. Pssspsspsspsspssspss. Pssspsspsspsspsspsss. Ach so! Sie meinen der Herr Student war das Genegteil von einer kalten Schwester. Ja! Hihihe! Genau! Ja, Fräulein Fricke, ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es Zeit wird, mich für Ihr Kommen zu bedanken. Ja warten Sie! Das Skurrile, das kommt doch erst noch! Den hatten sie nämlich im Tiergarten in der Nähe der Siegessäule aufgegriffen, im Gebüsch knieend. Ein anderer war da auch noch mir bei gewesen. Aber der ist entwischt und der, der da am Laub gekniet hatte, der wurde uns direkt zugestellt. Das ging ganz schnell. Der wollte weder rauchen noch einen Schokoriegel. Der hatte es gerdaezu selber eilig. Und wie er dann so in der Schlinge hing, da kam dem dann so eine weisse klebrige Flüssigkeit aus dem Mund. Fräulein Fricke!!! Also, Spucke war das nich! Vielen Dank für Ihr Kommen. Vortrag von Max Goldt. |
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