ecostory 5-2004 - Economic Science Fiction
Die Ausgangslage

Im letzten Jahrzehnt haben die Hausbesitzer, Immobilienhändler und Investoren mehrere parlamentarische Anläufe genommen, um endlich das freie Spiel von Nachfrage und Angebot auf dem Wohnungsmarkt wieder einzuführen. Gegen verschiedene Gesetzesentwürfe betr. Marktmiete usw. wurde erfolgreich das Referendum ergriffen. Das Schweizer Volk, mit 65% Mietern war nicht bereit, den Wohnungsmarkt völlig zu liberalisieren. Doch am 8. Februar wird wieder ein neuer Anlauf genommen. Die Freigabe der Wohnungsmieten wird, so heisst es offiziell, die gesamte Wirtschaft über die Bautätigkeit ankurbeln, indem sie Arbeitsgelegenheiten in der Bauwirtschaft schaffen wird. Auch sollte eine gerechtere Verteilung der Wohnfläche nach Zahlungskraft erfolgen. Die älteren Leute in billigen, grossen Wohnungen werden diese endlich zugunsten der jungen Familien verlassen müssen, heisst es in der Wahlpropaganda. Die nun spielende freie Konkurrenz zwischen Hauseigentümern wird wohl dafür sorgen, dass Mietzinserhöhungen erträglich bleiben; und Erhöhungen über 15% sind in der Regel ja verboten. So lautet die Propaganda der Befürworter. Das Volk soll die Wohnungsmieten endlich freigeben und die Marktkräfte freies Spiel haben, zwar mit einigen Einschränkungen, indem die Mietzinse an den Landesindex der Konsumentenpreise gekoppelt sind (bekanntlich bewegt sich dieser seit Jahren praktisch nur nach oben). Ausserdem enthält das Gesetz eine Klausel, gemäss welcher sich der Mietzins nach der « ortsüblichen Miete » zu richten hat. Bei den Eigentumsverhältnissen auf dem Schweizer Markt ist dies eine wunderbare Klausel, um die Indexbindung zu umgehen. Zwei Immobiliengesellschaften besitzen oder verwalten ja 1/3 des gesamten schweizerischen Mietwohnungsbestands, und die Aktionäre dieser Firmen, namhafte Versicherungsgesellschaften, sind durch Börsenspekulationen und Fusionen in den 90er Jahren finanziell ins Wanken geraten. Sie dürften also an einer massiven Renditeerhöhung ihres Immobilienportfolios das grösste Interesse haben.


Die Abstimmung

Bekanntlich spielen bei Abstimmungen der Termin und das Wetter eine grössere Rolle als die Propaganda. Am Anfang der Wintersportferien, nach Wochen des miesen Wetters, wollten die meisten Stimmbürger lieber vom Pulverschnee in der strahlenden Sonne profitieren als ihren bürgerlichen Pflichten nachgehen. Die Abstimmung verlief entsprechend sehr knapp: 50,5% der Stimmen für die Wiedereinführung der Marktmiete, 49,5% dagegen. Bei den Hausbesitzern brach der Grosse Jubel aus. Endlich, nach mehreren verworfenen Initiativen, war der Durchbruch gelungen. Das Schweizer Volk hatte endlich einer vernünftigen, liberalen Lösung zugestimmt.

Entsprechend gross war das Zähneknirschen bei den Opponenten, die Sozis, die Grünen, die Mieterverbände, die nicht von ihren Wählern (Stimmbeteiligung nur 35%) unterstützt wurden. Die Gleichgültigkeit gegen « die da oben, die sowieso machen, was sie wollen », der Abstimmungstermin am Beginn der Schulferien und das schöne Skiwetter hatten sich offenbar zugunsten des Gesetzesentwurfs vereint.


Die Rechnung

Für das Volk von Mietern liess die Rechnung, in der Form von massiven Mietzinserhöhungen, nicht lange auf sich warten. Zwei der grössten Immobilienverwaltungen der Schweiz, die zusammen etwa 1/3 des Marktes beherrschten, fusionierten einige Wochen nach der Abstimmung und wurden anschliessend an der Börse kotiert. Dies war aber nur ein Zwischenspiel. Kurz danach wurde diese kapitalkräftige Unternehmung von einem ausländischen Investorenkonsortium unter Leitung eines Baulöwen aus Japan übernommen. Das Investorenkonsortium, das zuerst heimlich viele Aktien aufgekauft hatte, unterbreitete den übrigen Aktionären eine sehr vorteilhafte Offerte. Die Aktionäre, zum Teil Banken, öfters aber Versicherungen, Sammelstiftungen und Pensionskassen, rieben sich die Hände. Dank dieser grosszügigen Offerte sahen sie sich in der Lage, endlich einen Teil der schweren Bürde der Immobilieninvestitionen loszuwerden, um ihr Geld in flüssigeren Aktien und Staatspapieren zu investieren. Das würde dazu beitragen, die chronische Unterdeckung der Pensionskassen zu beseitigen und sogar Schwankungsreserven zu bilden. Obwohl der Hauseigentümerverband durch eine offizielle Pressemitteilung hatte verkünden lassen, dass aus patriotischen Gründen keiner seiner Mitglieder die Offerte annehmen würde, gingen die Verhandlungen in den Kulissen jetzt erst recht los. Stück für Stück gingen damit, fern der Öffentlichkeit, erhebliche Teile des schweizerischen Immobilienbesitzes in die Hände des internationalen Konsortiums über.


Katzenjammer

Erst rund ein Jahr nach der Übernahme fingen hie und dort, zuerst in den grossen Städten, die Mieten massiv zu steigen. Dank der marktbeherrschenden Position des Konsortiums fanden die Mietzinserhöhungen bald Eingang in die Statistiken der « ortsüblichen » Mieten. Zahlreiche ältere Leute mussten ihre grossen und billigen Wohnungen verlassen und in kleineren einziehen, zu Preisen, die fast ihre gesamte AHV-Rente verschlangen.

Doch auch jüngere Ehepaare mit Kindern konnten die freigewordenen Wohnungen mangels Kaufkraft nicht mieten. Im Gegenteil, auch sie mussten ihre Wohnungen verlassen, sowie alleinerziehende Eltern, da die Mieten jährlich noch stärker angestiegen waren als die Krankenkassenprämien. Die staatliche Fürsorge, die bisher versucht hatte, mit Mietzinszuschüssen die Härtefälle abzufedern, wurde zurückgepfiffen. Unter dem Motto « Weniger Staat - Sanierung der Staatsaugaben » wurde sie dazu gezwungen, ihre Ausgaben massiv zu kürzen. Immer mehr Leute zogen zusammen in den wenigen noch erschwinglichen Wohnungen ein.

Als die Medien sich rührten und Leserbriefe publizierten, war des Echo der Hauseigentümer, dass nun endlich Gerechtigkeit herrsche und das Angebot nun endlich breit genug war. Zeitungen, die unerwünschten Leserbriefe publizierten, wurden die Inserate gestrichen. Für die Hauseigentümer schien endlich eine Zeit der guten Renditen anzubrechen. Investoren konnten sich auf dem Immobilienmarkt von den Rückschlägen der New-Economy und weiteren Börsenblasen erholen. Die Immobilienpreise von Mietwohnungen stiegen ins unermessliche. Doch die Euphorie war von kurzer Dauer.

Das Überangebot an Mietobjekten führte dazu, dass die Investitionen im Neubau, die angeblich durch die Freigabe der Mietzinsen hätten angekurbelt werden sollen, völlig zum erliegen kamen. Die Bauwirtschaft musste deshalb einmal mehr eine "Gesundschrumpfung" über sich hergehen lassen, mit entsprechenden Entlassungen, zuerst im Baugewerbe selbst, bald aber auch bei den Zulieferern aus Handel und Industrie. Die gesamte schweizerische Wirtschaft wurde damit noch stärker finanz- und banklastig als sie es schon war, und die Arbeitslosigkeit nahm rapide zu.

Dazu kam, dass die Kaufkraft, die durch die Mietzinserhöhungen der Volkswirtschaft entzogen wurde, nicht mehr in den Konsum, sondern im besten Fall in Anlagen, und im schlimmsten Fall in Spekulationen verschwand, und dazu noch grossenteils ins Ausland abgeführt wurde, z.B. um durch den Ankauf amerikanischer Staatspapiere und Aktien das riesige Handelsdefizit der Vereinigten Staaten zu finanzieren. Die breite Bevölkerung musste zugunsten von einigen wenigen den Gürtel enger schnallen. Der Geschäftsgang erlahmte in allen Bereichen: die Leute gingen weniger in die Ferien, gingen weniger aus, kauften keine Luxusgüter mehr, keine teuren Autos.


Verspätete Reaktion

Mit entsprechender Verspätung wurden endlich die seinerzeitigen Warnungen der Mieterverbände erhört. Eine neue Mieterschutzinitiative wurde innerhalb von Wochen, ohne Unterstützung der Medien, mit über 300'000 Unterschriften versehen auf der Bundeskanzlei deponiert. Doch die in der Regierung und Parlament übervertretene Finanzwirtschaft verband sich mit den Hauseigentümern um die Prozedur so lange wie möglich zu verschleppen. Erst als an verschiedenen Gemeinde- und Kantonswahlen die linken und grünen Oppositionsparteien auf Kosten von SVP und FDP eine Mehrheit erhielten, wurde die Angelegenheit ernsthaft angegangen.


Doch nun meldeten sich die ausländischen Investoren zu Wort und verlangten zuerst inoffiziell, später aber auch über offizielle diplomatische Kanäle, den Schutz ihrer Investitionen gemäss den von der Schweiz unterschriebenen WTO-Vereinbarungen und den freien Transfer der Gewinne und Kapitalien. In einem ersten Schritt versuchten die Behörden, um Zeit zu gewinnen, die Verfassungsmässigkeit der Initiative zu verneinen. Als das Bundesgericht die Initiative trotzdem für gültig erklärte, wurde in einer zweiten Etappe ein Gegenentwurf entwickelt, um die Initiative zu Fall zu bringen. Dies alles brauchte Zeit, doch die verarmten und obdachlosen Bevölkerungsschichten gingen nun auf die Strasse um ihr Anliegen zu unterstützen. Mieter traten in den Mietenstreik, bezahlten entweder nichts oder dann nur die alten Mieten. Doch zogen sie in den meisten Fällen den kürzeren: es hagelte Betreibungen und Kündigungen. Reklamierende Mieter wurden als Querulanten oder nicht solvente Personen in den geheimen Mieterdateien der Hauseigentümer registriert, und hatten nach der unvermeidlichen Kündigung entsprechend grosse Schwierigkeiten, neue Wohnungen zu finden. Einige Mietstreiker versuchten in den Wohnungen zu bleiben, wurden doch bald von den Verwaltern und Eigentümern unter Polizeieinsatz auf die Strasse geworfen. Unter dem Druck der blanken Not wurde der Protest der Mieter ständig lauter und gewalttätiger.


Die zweite Initiative

Unter dem Druck der Bevölkerung mussten die Behörden schliesslich die neue Mieterschutzinitiative und das behördliche Gegenprojekt zur Abstimmung bringen. Die Volksinitiative wurde mit 67% angenommen, der Gegenvorschlag der Regierung ebenso massiv verworfen, bei einer seit Jahrzehnten unerhörten Stimmbeteiligung von über 50%. Nun mussten die Behörden handeln.

Die Investoren versuchten jedoch immer wieder neue Winkelzüge. Sie beanstandeten jetzt, dass die Initiative gegen internationales Recht verstosse, insbesondere gegen rechtsgültig von der Schweiz im Rahmen der WTO unterschriebenen internationalen Vereinbarungen über den Schutz von ausländischen Investitionen. Die Schweiz wurde in der WTO an den Pranger gestellt, ein Bericht der OECD fiel für die Schweiz sehr unvorteilhaft aus. Immer stärker geriet die Regierung zwischen den Hammer der Investoren und den Amboss der Mieter.


Die Revolte

Da das neue Gesetz und die entsprechende Verordnung immer noch auf sich warten liessen, wurden verschiedene Hauptsitze von Immobilienfirmen von Demonstranten mit faulen Eiern und Farbbeuteln beworfen und die Polizei musste antreten, um diese Liegenschaften zu schützen. Daraufhin wurde auch die Polizei mit Farbbeuteln und Steinen beworfen, und es fielen Tote und Verletzte auf beiden Seiten. Bei jeder polizeilich erfolgten Hausräumung kam es nun zu Krawallen. Als neue Parlamentswahlen eine linke Mehrheit an die Macht brachte, ertönte der Ruf nach Kontrolle der Kapitalflüsse ins Ausland. Die Investoren reagierten sofort. Sie beschuldigten die Schweiz in der WTO, die freie Marktwirtschaft zu untergraben. Verschiedene Regierungen bedrohten die Schweiz mit wirtschaftlichen Retorsionsmassnahmen. Die schweizerische Finanzwirtschaft versuchte vergeblich, alle Parteien zu besänftigen. Schliesslich führte die WTO eine Abstimmung durch, in welcher die Schweiz als Vertragsbrüchig erklärt wurde. Die Vereinigten Staaten übten Druck auf die Schweizer Regierung aus, damit diese endlich die öffentliche Ordnung und die freie Marktwirtschaft wieder herstelle, und die vom Volk angenommene Initiative für ungültig erkläre.

Der Bundesrat gab nach, in einem dringlichen Beschluss wurde die neue Gesetzgebung bis auf weiteres suspendiert. Sofort organisierten die Mieterverbände und die Arbeitslosenverbände einen Marsch auf Bern. Die Polizei und Teile der Berufsarmee wurden aufgeboten, die Züge vor Bern angehalten, die Strassen zum Bundeshaus gesperrt. Doch die Soldaten, zum grössten Teil ebenfalls Mieter, sympathisierten mit den Aufständischen und gaben den Weg frei. Der Bundesrat wurde von verschiedenen politischen Seiten zum Rücktritt aufgefordert. Mit Ausnahme der linken Mitglieder flüchtete er nach Liechtenstein und bat die UNO um Hilfe. Sie erhielt das Mandat, in der Schweiz für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Unter dem Druck der Investoren auf ihre Regierungen wurden Soldaten aus Bangladesh und der Ukraine angeheuert und nach Zürich, Bern, Basel und Genf eingeflogen um die legitimen Regierung wieder ins Amt zu helfen und den Gesetzen der freien Marktwirtschaft wieder Nachachtung zu verschaffen. Zur Armut und Hoffnungslosigkeit gesellte sich nun auch noch die Besetzung durch ausländische Truppen, in einem Land das noch vor einigen Jahren den höchsten Lebensstandard der Welt gekannt hatte.


© Frank Zwiebertje

home | a-z site map zurück - retour - back
4205