ecoglobe Das Wachstumsvirus - eine Hypothese aus 1993
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Nachstehende Hypothese entstand Anfang der neunziger Jahre, nach der Teilnahme an einer Jahresversammlung der damaligen Schweizerischen Gesellschaft für Umweltschutz. Die Hypothese kann heute als nicht widerlegt gelten. Das heisst, sie stimmt.
Allerdings ist noch nicht geklärt, ob das Virus "nur" die Verknüpfungen normaler Logik lähmt oder ob es direkt zum Wahnvorstellungen führt.
Letzteres scheint naheliegend: Denn nur eine vom Wahnsinn befallene Person kann meinen, dass man ohne Essen wachsen könnte oder sinngemäss ohne Materialverbrauch wirtschaften, bzw. unsere Arbeit entmaterialisieren. [Compare: NON SEQUITUR ]
Grüne und Pseudogrüne, Rote und Schwarze, sogar der Papst - sie alle predigen "nachhaltige Entwicklung" und hoffen. Sie hoffen, dass wir, die Schäflein des gemeinen Volkes, den Hirten auf ihren grün-bis-schwarzen Pfaden folgen. An deren Ende winken dann die saftigen Weiden der gelobten "Zukunft". Je nach politischer Farbe oder Zigarettenmarke verheissen sie ewiges Leben, Sex, Abenteuer, Effizienz, Freiheit, und dergleichen. Alles nachhaltig - dauerhaft, versteht sich.

Eine der schönsten Verheissungen hörte ich an der letzten Publikumstagung der Schweizerischen Gesellschaft für Umweltschutz [1995; heute: "equiterre"], als Schlusswort: "Der Bremsweg zur Nachhaltigkeit ist lang", und der ganze Saal klatschte Beifall.

Ein nachhaltiger Bremsweg also? Man redet, schreibt, diskutiert, referiert. Die Diskussionsleiterin raucht (nicht in der Sitzung) Zigarren. Auf den Tischen im Speisesaal stehen die Aschenbecher. Beim Dessert zündet sich ein Teilnehmer seine Pfeife an. Wieso auch nicht? Man macht das, was man selber für richtig und wichtig hält und schützt die Mitwelt nach Vermögen, wo und wie man kann. Gewohnheit ist nachhaltig.

Am Besten fährt die "Nachhaltigkeit" mit der Hoffnung. Glaube und Hoffnung soll man haben. Die ersetzen bequem und einfach das Handeln. Wo kämen wir auch hin, wenn wir radikal etwas ändern würden, den Geschwindigkeitsrausch samt Strassen- und Eisenbahnbau stoppen, zum Beispiel. Oder ein Atomkraftwerk abschalten statt nachrüsten, oder Autos mit mehr als einem Liter Hubraum verbieten, oder Kleinstverpackungen. Oder?

Doch da würde unsere Freiheit auf der Strecke bleiben, und die ist heilig. Genau. Wir haben ja gesehen, wie das im Osten fehlgeschlagen hat. Unsere Wirtschaft (Arbeitsplätze!) braucht den Ausbau des Verkehrs, öffentlich, wie privat, und, und ... . Drehen sollen die Betonmischer. Just-in-time (gerade rechtzeitig) muss die effizient hergestellte Ware mit ausnahme-bewilligten Vierzigtönnern über die Stadtautobahn von irgendwoher irgendwohin gekarrt werden.

EU- und GATT-sei-Dank können auch die Gewinne nachhaltig grenzüberschreitend maximiert werden.

Schneller müssen wir mit der Bahn unser schönes Land durchqueren können, auch wenn wir dabei -zig Kilometer durch Tunnel fahren. Den Stau umfahren wir bald mittels elektronischer Leitsysteme bis auch der Stau flächendeckend ist wie die Abgasglocke. Zehn Minuten Zeitgewinn zwischen Basel und Bern. Wieviel Stunden müssen wir arbeiten um die Tunnel und die Schnellzüge und die Elektronik und die Invalidenversicherung und die Hautkrebsbehandlung zu bezahlen? Wo liegt der Gewinn?

Der Gewinn bleibt auf der eingleisigen Strecke des real-existierenden "weiter-wie-bisher". Bleibend, fortwährend, ist nämlich nur der Umweltschaden, wenigstens zu meinen Lebzeiten.

Doch nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft ist wichtig. Zum Glück darf ich hoffen auf die Zukunft, statt handeln zu müssen in der Gegenwart. Wir könnten zwar Arbeitsplätze schaffen durch umweltverträglichere Produktionsmethoden (Wieviel Energie haben 159043 offizielle Arbeitslose in der Schweiz, oder 20 bis 30 Millionen dieser Faulpelze in Europa?).

Wir könnten die Wirtschaftsstrukturen ändern, damit ein Grossteil der Transporte (Menschen und Waren) wegfällt, wenn wir im Nahbereich herstellen, was wir im Nahbereich brauchen. Wir könnten die SBB ohne einen einzigen Franken Bahn-2000-Steuergeld-Beton-Aufwand wettbewerbsfähig zum Otto-Normal-Auto und Diesel-Russ-Laster machen, mit etwas politischem Willen. Man müsste nur Ottos und Diesel zulassen, die nicht schneller als 80 beziehungsweise 70 Stundenkilometer fahren können. Es bräuchte keine weiteren umweltverträglichkeitsgeprüften Umfahrungsstrassen und Gotthardbasistunnel.

Ich höre die Bremser schon aufschreien: "Das geht doch nicht, das bremst die Wirtschaft, das sind Hirngespinste!"

Die Bremser haben für sich selber Recht, mit ihrer selbsterfüllenden Voraussage. Denn zum Ändern bräuchte es etwas Mut und Weitsicht. Ob die Umsicht und Weitsicht uns durch hohe Bankkonten versperrt werden? Jedenfalls soll ich vertrauen und hoffen, dass wir die technische Lösung finden, dass wir lernen, genügend Gene zu manipulieren, damit uns Morgen auf wundersamer Weise der grosse Rohstoff-Ozonloch-Klimaschutz-Wald-Energie-Bevölkerungs-Nahrungsmittel-Artenvielfalt-Wurf gelingt. Die theoretische "nachhaltige Entwicklung" wurde ja nicht umsonst von den Weltgremien formuliert und abgesegnet: "Wir sollen unsere Bedürfnisse befriedigen, ohne unseren Nachkommen die Möglichkeit zu nehmen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen". (Gibt es nachhaltige Selbstbefriedigung?)

Da wir aber unsere Bedürfnisse nicht hinterfragen und jene unserer Kinder nicht abschätzen, können wir ungebremst weiterwirtschafteln, zubetonieren, emmentaler-käsig-vertunneln, abgaseln, verkehrstöteln, bevölkern.

Das Ma-na-ge-ment (die Führungsmannschaft unserer Weltmanege) und ihre steigbügelhaltenden (Wirtschafts)wissenschaftler haben es erfasst: "nachhaltiges Wachstum" (nur "qualitativ" natürlich), Deregulierung (auch nachhaltig?), Privatisierung (der profitablen Teile unserer Staatsbetriebe), Rationalisierung (Maschinen statt ArbeitnehmerInnen), Effizienz (Einkaufszentrum auf - Dorfladen zu), Produktionsverlagerung ins Ausland (Arbeitsplätze?). So heissen die Leitsprüche der realen Entwicklung.

Die Folgen solcher Enwicklung für Mitmenschen und Umwelt sind egal. Hauptsache, es geschieht nach den Spielregeln der freien Marktwirtschaft und der "unsichtbaren Hand" von Adam Smith und der sichtbaren von Machiavelli, weiter-wie-bisher.

Der letzte mache das Licht aus.

©1995 Helmut E. Lubbers,
Ing. HTL, M.Soc.Sc.

PS 20.4.2007:
Das letzte Modewort im Zeitalter der Globalisierung ist "Wissensgesellschaft". Das Wissen soll uns helfen wenn die Arbeit nach Übersee abwandert.
"Wissensgesellschaft" ist jedoch Unsinn und Unfug. Als ob man mit Wissen und immer neuen Produktentwicklungen die ins Ausland gehenden Arbeitsplätze kompensieren könnte. Als ob nicht eine jede Tätigkeit Wissen und Geschicklichkeit braucht um sie gut machen zu können. Als ob die anderen weniger intelligent wären und nicht dasselbe Wissen aufbauen könnten. "Wissensgesellschaft" ist Teil jener Ideologie aus dem dunklen 19. Jahrhundert, die rücksichtslos die Armen und Machtlosen bis aufs Blut ausbeutet, wenn noch nicht hier, dann über Sklavenarbeit in Billiglohngegenden. Es ist Teil der hirnlosen Ideologie, dass wir immer weiter wachsen könnten, als ob die Ressourcen der Erde endlos wären.
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