ecostory 58/2006
Vorschau zur Klimakonferenz in Nairobi - November 2006
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DRS - ECHO vom 5.11.2006: In Nairobi beginnt morgen die Klimakonferenz der UNO. Für die meisten Teilnehmer steht fest, dass der Kampf gegen die Klimaerwärmung weitergehen und dass dazu das Kyotoprotokoll verlängert werden muss. Wo es aber konkret wird, hat die Einigkeit ein Ende. Die Frage, wie man das Klima schützen kann oder soll, wird auch in Nairobi zu langen Debatten führen. Die Vorschau von Wissenschaftsredaktor Mark Livingston. (Anmerkungen)

Was zu tun wäre hatte der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, vor Wochenfrist mit einem wegweisenden Bericht klargemacht1). Um den sich in vollem Gange befindlichen Klimawandel in einem erträglichen Rahmen zu halten, müsste der Treibhausgasausstoss bis ins Jahr 2050 weltweit auf einen Viertel des heutigen Werts schrumpfen.

Dass das Kyotoprotokoll angesichts dieser Forderung nirgends hinreicht, das war von Beginn weg klar2). Mit ihrer Verpflichtung, den Kohlendioxidausstoss um durchschnittlich 5 Prozent zu senken gegenüber den Stand von 1990, stellten die am Abkommen beteiligten Industriestaaten vor allem eine klimapolitische Weiche.

Die Konferenz vom letzten Jahr in Montreal hatte dieses Bekenntnis zum gemeinschaftlichen Handeln erneuert und zugleich den Druck auf die USA erhöht, die nach wie vor abseits des Kyotoprotokolls stehen und das Klimaproblem mit vagen Investitionsversprechungen in neue Technologien zu meistern vorgeben3).

Diese Isolation der Vereinigten Staaten aufzulösen wird eine der Hauptaufgaben der Klimakonferenz in Nairobi sein. Denn die Länder die das Kyotoprotokoll ratifiziert haben, können noch so eng zusammenstehen, ohne die Mitgleidschaft der USA, die ein Viertel aller Treibhausgase erzeugen, bleibt die Klimaallianz Stückwerk4).

Gerade mal ein Drittel des weltwelten Kohlendioxidausstosses geht zu Lasten der Kyotoländer. Ein weiterführendes Abkommen ohne die USA scheint daher wenig sinnvoll. Ebenso wichtig wäre es, die aufstrebenden Schwellenländer China, Indien und Brasilien miteinzubinden.

Mit ihren wachsenden Volkswirtschaften steigt der Energieverbrauch dieser Länder enorm und damit auch deren Produktion von Treibhausgasen5). Doch da sich die USA, China, Indien und Brasilien bisher standhaft weigerten, über konkrete Reduktionsziele zu verhandeln, sieht man in Nairobi von solchen verbindlichen Diskussionen ab.

Geplant ist mit diesen Ländern lediglich ein lockerer Dialog, in dem auch über andere Möglichkeiten, etwas das Potential neuer Technologien zur Eindämmung der Kliamerwärmung gesprochen werden soll6). Die EU und Japan möchten in Nairobi lediglich auf einen Zeitplan drängen, innerhalb dessen neue Reduktionsziele festgelegt werden müssten.

So soll kein Land frühzeitig vergrämt werden im Hinblick auf die nächste Runde des Kyotoprotokolls. Denn dass dannzumal ein blosses Weichenstellen nicht mehr genügt, das ist jetzt schon klar7).
Das war ein Bericht von Mark Livingston. (Transkription Helmut Lubbers)
Die Sendungen von DRS sind mir sehr wertvoll. Die nechstehenden Anmerkungen betreffen die Sache und nicht das Radio der Deutschen und Rätoromanischen Schweiz.
1. Herr Nicholas Stern bleibt mit seinen Anforderungen noch hinter denen von Klimatologen zurück, die bis 90 Prozent Reduktion verlangen. Bereits an der Klimakonferenz von Berlin 1995 wurden einschneidende Massnahmen verlangt. Die Wirtschaftslobby hat hat jedoch Jahre lang dagegen Opposition gemacht. Andererseits sind die Massnahmen die Herr Stern vorschlägt völlig ungeeignet, unwirksam und sogar kontraproduktiv. Ausserdem behauptet Herr Stern, in schönem Chorgesang mit anderen Ökonomen, man könne dank der Bekämpfung des Klimawandels sogar wirtschaftlich wachsen.
2. Den Antis war nichts klar. Aber noch schlimmer, man verhandelt über "nach-2012" obwohl die heutigen Reduktionsziele nicht erreicht werden und die Klimagasausstösse sogar immer weiter ansteigen.
3. Angesichts der offensichtlichen Unwirksamkeit der Kyoto-Machanismen ist es befremndend, dass bei den Vorbereitungssitzungen die Wirksamkeit des Kohlenstoffemissionshandels, der sogenannten "Sauberen Entwicklungsmechanismen" und "Gemeinsame Implementierung" nicht hinterfragt werden. Ausserdem sind die angepriesenen Technologien zur Ablagerung von Kohlenstofdioxid keineswegs ausgereift und unserer Meinung nach in der Praxis nicht durchfŸhrbar.
4. Es ist eine Ausrede, auf das Mitmachen aller warten zu wollen. Ein jeder wische vor der eigenen Haustüre. Aber die Treibhausgasrechnungen nach Ländern ist an und für sich ein Unsinn, denn in der globalisierten Wirtschaft werden die Gase auch in unserem Namen in China ausgestossen, für die Produkte, die wir von dort importieren. Das chinesische Wachstum ist übrigens von uns gemacht, weil wir unsere Industrien dorthin verlagern. Die Klimagase verbreiten sich innert 6 Monaten weltweit in einer Atmosphäre, die keine Grenzen kennt.
5. Wachstum ist der Kern und die Ursache aller Umweltprobleme. Niemand hat die Vernunft und den Mut, dieses heisse Eisen anzufassen. Jedes Kind versteht, dass man auf einer begrenzten Welt nicht immer weiterwachsen kann. Nur die Meinungsführer-Innen in Wirtschaft und Politik haben das noch nocht verstanden.
6. Die einzig wirklich wirksame Möglichkeit, eine weitere Klimaerwärmung vorzubeugen, ist eine Umstrukturierung unserer Wirtschaft hin zu lokaler Herstellung von langlebigen Gütern, die wir wirklich brauchen. Und die Geschwindigkeiten müssen allgemein stark reduziert werden. Schätzungsweise 90 Prozent aller Personen- und Warentransporte können wegfallen und der damit verbundene Energie- und Rohstoffbedarf eliminiert werden. Die Arbeitslosigkeit wird verschwinden weil wir wieder vieles von Hand machen werden. Natürlich bedeutet das eine gewaltige Arbeit. Aber unser Technikzeitalter wird sowieso bald zu Ende kommen, weil uns die Ressourcen ausgehen - die Treibstoffe, das Land, das Trinkwasser, der Artenvielfalt. Ein Anhalten und Zurückbuchstabieren ist sowieso dringendst nötig wegen der fortschreitenden Umweltverschmutzung und Überbeansprüchung der Natur.
7. Wir sollten die nächste Runde des Kyotoprotokolls vergessen und uns allererst darauf konzentrieren, was eigentlich mit der heutigen Runde nicht geklappt hat. Die Reduktionsziele müssen viel höher gesteckt werden und die Massnahmen ganz grundsätzlich überdacht. Dazu sollte man auch die Konferenzabgeordneten auswechseln. Die Wachstumsgläubige Ökonomen müssen durch Wissenschaftler ersetzt werden. Dann haben wir eine bessere Chance, zu wirksamen Ergebnissen zu gelangen.

Helmut Lubbers, Genf, 5 November 2006
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