ecostory 27-2006
"Gegen Wachstum gibt's kein haltbares Argument"

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Brief an Herrn Professor Gebhard Kirchgässner von 5.8.2006

Sehr geehrter Herr Kirchgässner.

Es ist eher Zufall, dass ich Ihnen schreibe und zwar weil mir eine Kollegin Ihren Artikel gab. Meine nachfolgenden Überlegungen sind sinngemäss auch bei vielen Ihrer Kollegen vorzubringen. Ihre Argumentation in Sachen Wachstum (in Cash vom 7.7.05, S.23) ist leider wissenschaftlich falsch und zwar aus folgenden Gründen.

1. Die Erde ist eine Kugel und die Vorräte sind deshalb limitiert. Ein jedes wirtschaftliches Wachstum wird in Geldeinheiten ausgedrückt. Abgesehen von Liebhaberpreisen für Kunst und dergleichen stellen jeder Franken und Euro also eine Menge materieller Grundstoffe dar. Dies gilt auch für die sogenannten Dienstleistungen. Diese sind keineswegs immaterieller Art und oftmals sogar sehr material- und energieintensiv, wie zum Beispiel der Transportsektor. Die meisten materiellen Ressourcen sind nicht erneuerbar. Auch die erneuerbaren Ressourcen werden überbeansprucht.

2. Wenn Sie von Sättigung schreiben, dann ist das eine finanzielle Betrachtungsweise, in Ihrem Artikel bezogen auf den Wunsch, immer mehr zu verdienen. Dabei machen Sie den üblichen Fehler, indem Sie meinen, für Wohlstandssteigerung wäre Einkommenssteigerung nötig, also Wachstum. Für die meisten Menschen ist Wohlbefinden weit wichtiger als Wohlstand im Sinne von Luxus. Glück ist ein relatives Mass. Man vergleicht sich mit den Nachbarren. In Tat und Wahrheit führt das Wachstumsstreben dazu, dass die Einkommensschere immer weiter auseinanderklafft und die Menschen also relativ unzufriedener werden. Wollte man den Menschen zufriedener machen, so müsste man nicht wachsen sondern umverteilen. Das ist natürlich unvereinbar mit der neo-liberalen Einstellung der meisten Ökonomen. Aber auch wenn man, wie Sie meinen, den materiellen Wohlstand noch erhöhen sollte, so ist dies wegen der Grundgegebenheit unter Punkt 1 dieses Briefes nicht möglich. Auch die Schweiz ist ökologisch schon weit überbeansprucht. Wir leben über allen Massen der Nachhaltigkeit, was ich Ihnen hieb- und stichfest nachweisen kann.

3. "Aus ökologischen Gründen gibt es keine prinzipielle Grenzen des Wachstums", schreiben Sie.

3.1 Wachstum geht, entgegen Ihrer impliziten Annahme, immer mit erhöhtem Energieverbrauch einher. Da aber die fossilen Energiequellen innert maximal einiger Generationen erschöpft sein werden und es keine alternativen Quellen in genügendem Ausmass gibt, wird die Wirtschaft dann sowieso gezwungenermassen schrumpfen. Das heisst, sie wird weit weniger materialintensiv sein. Wir werden wieder viel mehr von Hand herstellen müssen.

3.2 Dies wird den Stoffkreislauf begrenzen, wie Sie schreiben, aber gerade deshalb das Wachstum in Schrumpfung umwandeln. Was ist "technischer Fortschritt"? Wenn hiermit Maschinen und industrielle Prozesse bezeichnet werden, so ist Fortschritt auch, wenn man materialeffizienter arbeitet. Da durch geht der Materialverbrauch zurück und die Wirtschaft schrumpft. Wenn sie auf "mehr" zielen, höhere Produktion und dergleichen, dann ist der Einwand unter Punkt 1 anwendbar.

3.3 "Qualitatives Wachstum" ist keinesfalls immateriell. Mehr Qualität bedeutet bessere und teurere Produkte, die mehr Material und Arbeitsaufwand erfordern. Das muss alles bezahlt werden und stellt alles Grundstoffe dar, auch über die Gehälter der Arbeitenden, die wieder in Verbrauch umgewandelt werden. Wie Sie schreiben, wird das Brutto Inlandprodukt dadurch steigen, jedoch keineswegs ohne Mehrverbrauch an Umwelt und nichterneuerbaren Grundstoffen und Grund und Boden.

3.4 "Im Übrigen ist dieses Wachstum gerade auch dann erforderlich, wenn wir die Situation der natürlichen Umwelt verbessern wollen." Dies nun, sehr geehrter Herr Professor, ist eine weitverbreitete aber fehlerhafte Meinung in der Disziplin der Wirtschaftslehre. Den gerade unsere Wirtschaft belastet die Umwelt. Durch mehr des gleichen wird die Umwelt noch mehr belastet. Der Natur kann man nicht mit Geld helfen, sondern nur dadurch, dass man sie weniger beansprucht. Mit Technik kann man lokal etwas reparieren und rein halten, aber global betrachtet geht das immer auf Kosten von noch mehr Umwelt- und Ressourcenverschleiss.

3.5 Am Ende Ihres Artikels führen Sie die Bewältigung sozialer Probleme als Argument für das Wachstum an. Nun sind soziale Probleme immer Verteilungsprobleme udn können als solche gelöst werden. Vergleichen Sie Punkt 3.2 heroben. Der Erde aber ist es ziemlich egal, ob die Gesamtbelastung von einigen Reichen und vielen Armen oder von einer sozialistischen Gesellschaft ausgeübt wird. Die Natur ist hart. Bei Überbevölkerung und Überkonsum werden schlussendlich Hungersnot und Umweltprobleme für Korrektur sorgen. Manchmal führt das zu Massensterben, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Bei uns Menschen wird das dann sicherlich zu Krieg führen, wobei man hoffen muss, dass nicht ein Atomkrieg die ganze Welt verseucht.

Auch ohne solch einen Atomkrieg sind wir bereits weit fortgeschritten unsere Welt mit unseren Abfällen zu vergiften. Die Los Angeles Times hat auf Ihrer Webseite im Augenblick ein Dossier über Giftschleim in den Ozeanen und tote Meeresgebiete. Die Klimagase sind auch eine "Vergiftung", die zu Klimaveränderung führt und weite Teile der Schweiz und Westeuropas durch Bergrutschen und häufigen Überschwemmungen unbewohnbar machen wird, vielleicht noch bevor uns die fossile Energie ausgeht.

Abschliessend wollen Sie "das Wachstum nach Kräften fördern". Dies nun, sehr gehrter Herr Professor, ist in Anbetracht des obenangeführten schlichtweg ein Aufruf zu beschleunigtem gesellschaftlichem Selbstmord. Wir verbrauchen schon viel zu viel der Erde. Vergleichen Sie "Overshoot" von William R. Catton, wovon Sie Auszüge auf meiner Webseite finden.

Ich hoffe, sehr geehrter Herr Professor Kirchgässner, dass Sie dem obigen etwas abgewinnen können. Umdenken erwarte ich nicht, weil das fast nur durch ein Schockerlebnis geschieht.

Ihr Rückäusserung interessiert mich.

Mit freundlichen Grüssen,

Helmut Lubbers

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