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Bundesumweltminister Norbert Roettgen: "Wachstumskraft der Zukunft"
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"Klimaschutz wird die Wachstumskraft der Zukunft"

meinte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) im Gespräch mit ZDF-Reporterin Maybrit Illner. "Da ist er sich sicher." (Quelle ZDF)

Wir schrieben das Gespräch auf und dem Minister einen Brief mit folgendem Wortlaut:


Sehr geehrter Herr Minister Roettgen!

Ihr Telefongespräch vom 22.7.2010 mit Frau Maybrit Illner verdient grosse Aufmerksamkeit.

Hernach habe ich einige wesentliche Punkte [R.] zitiert und mit kurzen Anmerkungen [l.] versehen.

Ich hoffe, dass diese Ihre Aufmerksamkeit finden und Ihre Reaktion würde mich freuen.

[Röttgen] "Es ist keine Frage von Verzicht, nach meiner Einschätzung, sondern es ist eine nüchterne Analyse der Verletzlichkeit. Rohstoffe, Ressourcen, Öl, Gas sind fast zu allererst zu einem Sicherheitsthema von uns geworden und wir werden in Unsicherheit hineinlaufen, wenn wir das nicht erkennen. Es geht nicht um den grossen Verzicht, den ich weder predige noch für tauglich halte, unsere Probleme zu lösen, sondern es geht um Innovation."

[Lubbers] Die Ökologie sieht das Grundproblem in der ungeheuren Überbelastung der Erde durch zu viele Menschen mit einem zu hohen Natur-und Rohstoffverbrauch. Manche Ökologen schätzen, dass die Menschheit heute die Tragfähigkeit der Erde um 40 bis sogar 400 mal übertroffen hat. Diese Überbelastung wurde durch die Technologie und die fossilen Brennstoffe ermöglicht. Wenn man überbelastet gibt es nur eine wirksame Lösung und die heisst Entlastung, weniger verbrauchen.

[R.] "Es geht um Erfindung, um neues Bewusstsein, um ganz viele Möglichkeiten durch anderes Wirtschaften zu einem anderen Wachstum zu kommen, das die Lebensgrundlagen der Zukunft ermöglicht."

[L.] Faktisch und konkret gibt es kein anderes Wachstum als materielles Wachstum. Dieses erhöht die Geschwindigkeit der Ressourcenerschöpfung und der Naturzerstörung. Das einzige Wachstum, das "die Lebensgrundlagen der Zukunft ermöglicht", ist das Wachstum der Natur, der Pflanz- und Tierwelt, auf die wir ganz angewiesen sind. Diese Welt wird jedoch faktisch vom Wirtschaftswachstum immer schneller zerstört. Es ist gut möglich, dass Sie, wie so viele Leute "Arbeitplätze" meinen wenn Sie "Wachstum" sagen. Wir müssen in der Tat anders arbeiten und die Wirtschaft umgestalten damit die Erde entlastet wird. Das schliesst jedoch Wachstum absolut aus.

[R.] Es gibt heute intensive Forschung, Kerosin im Flugzeug zu ersetzen, durch synthetischen Sprit, durch Biosprit. Wir können Elektromobilität nach vorne bringen. Wir haben in Deutschland einen Anteil inzwischen der erneuerbaren Energien von 16 Prozent an der Stromversorgung. Viel ist möglich, wenn es gewollt wird.

[L.] Das sind technologische Hoffnungen, deren Machbarkeit einer wissenschaftlichen Analyse nicht standhalten und die Belastung der Welt nicht verringern.

[R.] "Die Ersetzung des Verbrauchs der Natur durch Erfindung, durch Innovation, durch Technologie, durch andere Lebens- und Wirtschaftsweisen, macht nicht ärmer."

[L.] Technologie kann keine Natur ersetzen, keine verbrauchte Rohstoffe wiederherstellen, keine zerstörte Natur und ausgestobenen Arten wiederbeleben, den Klimawandel nicht umkehren und nicht mehr Platz schaffen für immer mehr Menschen. Erfindungen werden keine Wirklichkeit, indem man sie herbeisehnt. Heutige Probleme muss man lösen mit den Mitteln die man heute kennt. Und in der Tat gehören "andere Lebens- und Wirtschaftsweisen" dazu, wie zum Beispiel die Relokalisierung von Arbeits- und Wohnort, eine Entschleunigung der Transporte, eine Entmechanisierung in vielen Bereichen, eine Zuwendung zur unmittelbaren Produktion von Nahrungsmitteln und Sachen, die wir wirklich zum Leben brauchen. Das "macht nicht ärmer", sondern glücklicher weil es uns eine Pforte zu einer Gesellschaft öffnet, die wirklich länger dauern kann als die nächsten Zahrzehnte. Denn eines wird in der Debatte immer übersehen. Unsere moderne Welt gründet vollumfänglich auf die Ausbeutung fossiler Energie, welche durch erneuerbare Energie weder in der Verwendungsmöglichkeit noch in der Menge ersetzt werden kann. Wir sind jetzt auf der maximalen Fördermenge des Erdöls angelangt. Es ist eine Frage weniger Jahre, vielleicht fünf oder fünfzehn, bis die Ölförderung welweit abnimmt. Dass bedeutet dann der Anfang vom Ende der Globalisierung und der Industiregesellschaft. Glücklich werden dann jene Menschen sein, die ihr tägliches Brot lokal herstellen, weitestgehend unabhängig von Transporten von ausserhalb der Region.

[R.] Wir müssen nicht verzichten, nicht in Sack und Asche gehen, sondern wir können klüger wirtschaften und die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen erhalten.

[L.] Es wird schwierig sein, "nicht in Sack und Asche" zu gehen, wenn wir gezwungenermassen von der modernen Industriegesellschaft Abschieb nehmen, weil diese einfach nicht nachhaltig ist, nicht weiter dauern kann, weil die Ressourcen fehlen. Aber wir gewinnen eine reale Aussicht auf eine Zukunft, wenn wir unsere Arbeitsstrukturen rechtzeitig umschalten.

[R.] "Ich glaube sogar, dass es das Wachstumsprojekt ist. Denn es ist eine innere Notwendigkeit, für all diejenigen, die Entwicklung und Wachstum auch noch in der nächsten Generation wollen - ich war gerade in China, die denken in Generationen und darum sind die sehr bewusst, dass sie das westliche Modell des Verbrauchs nicht einfach kopieren können und setzen darum voll auf neue Techologien, etwa auf erneuerbare Energien - da ist eine ganze Bandbreite möglich. "

[L.] Das entspricht überhaupt nicht dem was die Medien über China berichten. Dort wird rücksichtlos ausgebeutet, was das Zeug hält, ähnlich wie Sie, Herr Goettgen, in der ZDF-Sendung über DDR-Bitterfeld sagten.

Ich hoffe, Herr Roettgen, dass Sie Ihre eigene Worte aus jener Sendung selber zu Herzen nehmen: "Das ist vielleicht auch ein bisschen überheblich und undemokratisch, wenn einzelne von sich immer sagen, sie wüssten genau wie es geht und seien im Beisitz der absoluten Wahrheit." Genau dasgeschieht leider in unserer Gesellschaft, die im Griff der e
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Niederschrift der Fragegesprächs vom 22. Juli 2010 von ZDF-Reporterin Maybrit Illner mit Bundesminister Norbert Röttgen:
[Vorspann]
Frau Illner (I.) Alle stönen ünen über die Hitze und die Statistiker haben gerade herausgefunden, noch nie seit Beginn der regelmässigen Wetteraufzeichnungen war es welweit so heiss wie in den vergangenen Monaten. Erst der extrem lange Winter, jetzt die brutale Hitze. Sind diese Wetterextreme ein Anzeichen für den Klimawandel? Beginnt die Natur sich an uns zu rächen? Und passt die grösste Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA, die Ölpest im Golf von Mexiko, auch in dieses Bild? Die Natur schlägt zurück? Darüber möchte ich jetzt mit dem Bundesumweltminister sprechen. Der heisst Norbert Roettgen und ist am anderen Ende der Leitung.

[Gespräch]
Guten Tag Herr Roettgen!

Hallo Frau Illner!

I. Ein weitflächig vergiftetes Meer und seit Wochen diese brutale Hitze. Gehen Ihnen manchmal auch solche kulturpessimistischen Fragen durch den Kopf?

R. Ja.

I. Und dass die Gier des Menschen jetzt bestraft wird?

R. Ja natürlich. Das ist durchaus als Kulturpessimismus zu bezeichnen, dass die Verletzungen der Natur, das Aufzehren der Ressourcen die Natur verletzt und sich am Ende gegen uns gegen die Menschen richtet. Das sind glaub' ich Signale die unübersehbar sind.

I. Leiden Sie eigentlich oder sagen Sie eher Klima prima?

R. Nein. Wenn's zu heiss und vor allen Dingen zu schwül ist dann leide ich wie die meisten.

I. Zwischenfrage. Es hat's ja nun an der Klimaforschung schon mal den einen oder anderen Zweifel gegeben. Was sagen Sie, sind das klare Zeichen für den Klimawandel? Rächt sich die Natur jetzt für das, was der Mensch ihr angetan hat?

R. Es war ja schon seit langem ein breiter internationaler Konsens, dass die Erderwärmung nach allen Messungen, die durchgeführt werden, eben leider stattfindet und nicht eine Erfindung ist. Daran habe ich im Kern, nach dem was die Wissenschafter da weltweit vorgelegt haben, auch in einem Diskursprozess, nicht gezweifelt. Die Punkte, die Wahrnehmung der Temperaturen, der ganz kalte Winter, war kein Argument. Der ganz heisse Sommer ist es auch nicht alleine. Aber es sind doch jetzt verlässliche Messungen über Jahre, die an diesem Trend der Erderwärmung die voranschreitet leider keine Zweifel aufkommen lassen. Und jetzt wenn's so heiss ist und Hitzetage immer mehr werden, dann merken wir's auch und fühlen auch die Veränderung.[1]

I. Und da noch mal Ihre persönliche Pegelstände. Wie sicher sind Sie, wie sicher ist der Politiker Norbert Roettgen, dass dieses Zwei-Prozent-Ziel tatsächlich ein realistisches ist? Dass die Politik, die Menschheit es schafft, dieser Veränderung etwas entgegenzusetzen?

R. Nein. Ich bin nicht sicher. Ich bin nur sicher, dass es das äusserste ist, was wir uns leisten können, wenn die Lebensbedingungen nicht völlig anders werden sollen und Leben, wie wir es heute kennen auf diesem Planeten nicht mehr sein wird. Das ist das äusserste. Manche sagen ja auch anderthalb Prozent ist das. Das wird man sehen. Und wir haben leider noch nicht die Massnahmen ergriffen - die müssen wir auch international ergreifen[3] - die notwendig sind um dieses Ziel zu erreichen. sondern mit dem was wir jetzt in dem Prozess nach Kopenhagen erreicht haben, liegen wir bei drei bis vier Prozent und bei weiten nicht bei dem was notwendig ist.[4]

I. Ein offenbar wenigstens genau so schlecht beherrschbares Risiko scheint das Bohren Bohrlöchern in der Tiefsee zu sein. Gucken wir nochmal in den Golf von Mexiko. Welche direkten Folgen hat diese Ölpest für uns? Glauben Sie, kommt das Öl durch die Strömung auch irgendwann in Deutschland an?

R. Das kann sein, muss nicht sein, dass es zu uns kommt. Da bin ich auch nicht der richtige, das selber zu bewerten, sondern kann nur die Expertenmeinungen die Prognosen abgeben einschätzen. Aber es sind ja immer wieder an unterschiedlicher Stelle die Ökosysteme die verletzt werden. Jetzt ist es in dieser Region. An anderer Stelle sind es andere. Die pazifischen Korallenriffe, die weitestgehend zerstört sind. Und es wächst zusammen zu einer Verletzung von Unterschiedlichen Ökosystemen und zu einer Störung des planetarischen systems von dem der Mensch am Ende ein Teil ist und das sich gegen uns wendet. Ob es nun ganz unmittelbare oder eben mittelbare Auswirkungen sind, die uns aber am Ende in aller Massivität zusammen treffen werden.

I. Auch in Deutschland wird Öl gefördert. Ist eine Katastrophe wie die im Golf von Mexiko auch bei Bohrungen in der Nordsee möglich?

R. Ich glaube, nein. Ich bin sicher, dass wir unter ganz anderen Bedingungen, etwa auch ökologischen Standards, auch in ganz anderen, viel geringeren Tiefen dort bohren, auch auf Unfälle eingestellt sind. Das ist unvergleichbar. Trotzdem war es auch Anlass für deutsche und europäische Behörden das zu überprüfen, nochmals Standards zu überprüfen, zu kontrollieren. Und wenn wir weltweit nach den Standards, auch der Umwelt und der Ökologie, bohren würden, sähe es schon viel ander und viel besser aus.

I. Hat es Sie auch ein bisschen überrascht, das es in diesen Wochen des weiteren Ausströmens von Öl eben in dem Golf von Mexiko eigentlich genau diese internationale Gemeinschaft von helfenden Ländern nicht gegeben hat? Hätte sich da nicht auch bewiesen, dass dieses globale Problem tatsächlich mittlerweile auch global gelöst wird?

R. Nein, ich glaube das war dann keine Frage letztlich von internationaler Solidarität, die es gewisser Weise ja gegeben hat. Ich bin von vielen, auch Forschern, Wissenschaftlern, angesprochen, angeschrieben worden. Wir tüfteln an Möglichkeiten, wie man das Loch zukriegt. Ich kenne sogar Leute die behaupten, dass sie mit der jetzigen Lösung etwas zu tu haben. Also ich glaube, das hat es schon gegeben. Aber am Ende war es ja dann die Verantwortung, die darin liegt, das Loch zu stopfen, den Austritt zu verhindern, das auszuprobieren. Wenn solche Schäden da sind dan ist es für manches auch zu spät. Man kann nicht jede unterbliebene Prävention und Kontrolle dan mit nachträglicher Solidarität wiedergutmachen. Das muss man einfach wissen.

I. Bei solchen Risiken für die Welt ist natürlich die Frage, wo liegt die Macht? [5] Liegt die eigentliche Macht nicht bei den Herrschern über diese Ölreserven? Wenn die sich jetzt bedroht fühlen, beispielsweise durch die Umweltpolitiker der Welt, dann förden die andern noch ein bisschen schneller und dan erwärmt sich das Klima auch noch ein bisschen schneller.

R. Die Macht liegt eben bei den Menschen. Denn Ölförderung findet nur dann statt wenn es Ölverbrauch gibt. Sie liegt auch bei der Politik sehr stark, in einem ganz technischen Sinne was Sicherheit anbelangt, Sicherheitsvorschriften, aber auch in einem weiteren Sinne, was Wirtschaftsordnung anbelangt, das Umstellen von einer Wirtschafts- und Lebensweise vom Ressourcenverbrauch, von der Verschwendung auch zukünftiger Ressourcen[6] schon heute zur Ressourceneffizienz, Naturschonung, und auch ökologischem Bewusstsein, anbelangt, es liegt an uns, sehr stark and der Politik. Man kann ja mal fragen, was kann Politik heute noch tun? Ich glaube, auf diesem Feld, wie organisieren wir Wirtschaft? Verbrauchend? Die Zukunftsgrundlagen verzehrend? Oder schonend und effizient? Und es liegt auch an jedem Menschen, denn wir sind alle Verbraucher, der einzelne ist schwach, zusammen sind wir alle stark und die entscheidende Macht.[7]

I.[09:08] Sie kritisieren, dass die Abhängigkeit vom Öl uns nun viel verletzlicher macht. Welche Alternativen vom Öl haben wir denn, wenn wir an unserem gewöhnten Lebensstandard aber ganz gerne festhalten möchten?[8]

R. Es ist keine Frage von Verzicht, nach meiner Einschätzung, sondern es ist eine nüchterne Analyse der Verletzlichkeit. Rohstoffe, Ressourcen, Öl, Gas sind fast zu allererst zu einem sicherheitsthema von uns geworden und wir werden in Unsicherheit hineinlaufen, wenn wir das nicht erkennen. Es geht nicht um den grossen Verzicht, den ich weder predige noch für tauglich halte[9], unsere Probleme zu lösen, sondern es geht um Innovation.[10] Es geht um Erfindung, um neues Bewusstsein, um ganz viele Möglichkeiten durch anderes Wirtschaften zu einem anderen Wachstum zu kommen, das die Lebensgrundlagen der Zukunft ermöglicht. Es gibt heute intensive Forschung, Kerosin im Flugzeug zu ersetzen, durch synthetischen Sprit, durch Biosprit. Wir können Elektromobilität nach vorne bringen. Wir haben in Deutschland einen Anteil inzwischen der erneuerbaren Energien von 16 Prozent an der Stromversorgung.[11] Viel ist möglich, wenn es gewollt wird. Die Ersetzung des Verbrauchs der Natur durch Erfindung, durch Innovation, durch Technologie, durch andere Lebens- und Wirtschaftsweisen, macht nicht ärmer. Wir müssen nicht verzichten nicht in Sack und Asche gehen, sondern wir können klüger wirtschaften und die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen erhalten. Ich glaube sogar, dass es das Wachstumsprojekt ist. Denn es ist eine innere Notwendigkeit, für all diejenigen, die Entwicklung und Wachstum auch noch in der nächsten Generation wollen - ich war gerade in China, die denken in Generationen und darum sind die sehr bewusst, dass sie das westliche Modell des Verbrauchs nicht einfach kopieren können und setzen darum voll auf neue Techologien, etwa auf erneuerbare Energien - da ist eine ganze Bandbreite möglich.

I. Sagt ein hoffnungsfroher Bundesminister, Norbert Roettgen. Ganz herzlichen Dank und den sportlichen Rest besprechen wir morgen. Bis dahin!

R. Okay. Bis dahin!