Der Amerikaner, der die Welt retten will16. Oktober 2005 Warum gehen Völker unter, während andere schwere Krisen meistern? Ein Besuch beim Bestseller-Autor Jared Diamond. LOS ANGELES. Jared Diamond ist ein Mensch, den man einfach beneiden muß. Weniger um sein hübsches Haus im Neuengland-Kolonialstil im noblen Stadtteil Bel Air und die wirtschaftlich recht einträglichen Ergebnisse seiner Arbeit als um das, was alles in seinen Kopf hineingeht. Und was aus diesem Kopf wieder herauskommt. ![]() Zunächst einmal ist Diamond ein bekannter Ornithologe und der wichtigste lebende Experte für die Vogelwelt Melanesiens. Aber das ist nur ein Hobby von ihm. Darüber hinaus ist er ein renommierter Physiologe und Experte für die Funktion der Gallenblase. Aber sein letztes Experiment mit einer Gallenblase liegt schon ein paar Jahre zurück. Weltweit bekannt wurde Diamond durch ein Buch, das erst in seinem sechzigsten Lebensjahr erschien. Für "Guns, Germs, and Steel" (deutsch: "Arm und Reich") erhielt Diamond 1998 den Pulitzer-Preis. Das Buch ist mit weit über einer Million verkaufter Exemplare ein internationaler Bestseller. Diamonds These damals: Die Vormachtstellung Europas in den vergangenen Jahrhunderten ist vor allem seiner geographisch und ökologisch begünstigten Lage und der Verfügbarkeit von domestizierbaren Pflanzen und Tieren geschuldet. Damit war Diamond noch einmal zu einem weltweit gehörten und gelesenen Experten geworden auf einem Gebiet, das man vielleicht am besten "Historische Soziogeographie" nennen könnte. In jenem Haus im Neuenglandstil in einer Seitenstraße des Sunset Boulevard empfängt Jared Diamond im großen, mit Kunst und Kunsthandwerk aus aller Welt ausstaffierten Wohnzimmer. Der Raum ist einer der Gründe, warum er und seine Frau 1976 hierherzogen. "Die Akustik hier ist hervorragend für die Kammermusik geeignet", sagt Diamond. Musizieren ist neben Sprachen (derzeit lernt er Nummer zwölf, Italienisch, "nur so zum Spaß") eines der Hobbys des inzwischen 68jährigen. Vom Flügel hält ihn allerdings derzeit ein bei einem "dummen Unfall" gebrochener Finger fern. Der andere Grund für die Nähe zu den Reichen und Schönen Hollywoods ist ein ganz profaner: Man läuft von hier nur zwanzig Minuten bis zu Diamonds Arbeitsplatz an der University of California in Los Angeles (UCLA). Und Diamond geht gerne zu Fuß, obgleich die Straße, wie in Amerika üblich, natürlich keinen Bürgersteig hat. Bis vor ein paar Jahren war er an der UCLA "Professor of Physiology". Inzwischen ist er "Professor of Geography". Der Berufswechsel, der auch in Amerika nicht normal ist, hat eine einfache Ursache, sagt Diamond: "Die Zivilisation bricht nicht zusammen wegen der Gallenblase." Andere Gründe, an denen Gesellschaften zugrunde gehen könnten, sah Diamond schon länger. Und Möglichkeiten, solchem Schicksal vorzubeugen. Denn das will der Mann mit dem tief gezogenen grauen Seitenscheitel. Sein neues Buch, das am Montag bei S. Fischer auf deutsch erscheint, ist sein bislang ambitioniertester Versuch, einen Beitrag zur Rettung der Welt zu leisten. Für "Kollaps - Warum Gesellschaften überleben oder untergehen" frönte er einem weiteren Hobby: Reisen bis in die entferntesten Winkel der Welt. Zu Inseln wie Tikopia und Pitcairn in der Südsee, zur Osterinsel, zu den Maya-Ruinen, zu den Gletschern Grönlands, nach Australien, Japan, China. Auch nach Montana und Neuguinea - zwei Gegenden, in denen er sich deutlich mehr zu Hause fühlt als in Los Angeles, wo er seit 1966 lebt und sich "noch immer wie ein Fremder" vorkommt. Diamond sucht in diesen Teilen der Welt nach Gründen, warum Gesellschaften und Zivilisationen Jahrtausende überstanden, während andere, obgleich einst reich und mächtig, untergingen. Zum Beispiel die Norse in Grönland. Über 500 Jahre waren sie in einer klimatisch günstigen Zeit in Grönland als Farmer sehr erfolgreich. Als das Klima aber wieder kälter wurde und auch die ökologischen Effekte ihrer intensiven Landnutzung zutage traten, seien sie nicht bereit gewesen, Konsequenzen zu ziehen, sich anzupassen oder gar vom Jäger-Lebensstil der einheimischen Inuit zu lernen. Von ihrer Zivilisation blieb außer ein paar Kuhstallgrundmauern kaum etwas übrig. Auch die Lösung eines anderen Rätsels der Weltgeschichte liegt für Diamond auf der Hand: Die Maya-Gesellschaft kollabierte vor etwa 1100 Jahren, weil die wachsende Bevölkerung infolge von Entwaldung und Bewässerungsproblemen nicht mehr genug zu essen hatte. Und weil die Könige sich darum nicht kümmerten, sondern sich lieber weiter gegenseitig bekriegten. "Die Maya-Könige konnten gut essen, während das Volk hungerte", sagt Diamond. "Das ist ein Grund, sich große Sorgen um die Zukunft der Vereinigten Staaten zu machen. Wir haben hier abgeschottete Reichenviertel, die ,Gated Communities', die sich von den Problemen der Gesellschaft abkapseln, mit eigenen Sicherheitskräften, eigenen Schulen und so weiter. Das ist gefährlich. Wir können uns im 21. Jahrhundert, in Zeiten der Globalisierung, nicht durch immer höhere Zäune oder andere Barrieren von den Problemen des Rests der Welt abschotten." Auch Diamonds Haus an der sich bergauf windenden Straße ist eingezäunt und mit einem stabilen Tor versehen. "Das haben wir aber nicht, um die Kriminellen draußen zu halten, sondern um die Kinder drin zu halten, wegen der Autos." Die Kinder sind heute 18 Jahre alt, Zwillinge, die geboren wurden, als ihr Vater schon fast 50 war. Es war das Ereignis, das für den nüchternen Naturwissenschaftler die Welt auf den Kopf stellte. Diamond und seine Frau machten ihr Testament, schlossen Lebensversicherungen ab. "Man las damals von den absehbaren ökologischen Katastrophen, etwa der Entwaldung Amazoniens, die bis 2015 schon soundso weit fortgeschritten sein würde. Bis dahin war für mich das Jahr 2015 weit weg, aber die Kinder waren wie ein Weckruf." Seine Söhne werden 2015 noch junge Männer sein. "Was nützt ein Testament und eine Lebensversicherung, wenn die Welt um unsere Kinder herum zusammenbricht?" So haben seine drei populären Bücher, "Der dritte Schimpanse", "Arm und Reich" und jetzt "Kollaps", ziemlich viel mit seinen Kindern zu tun (und wahrscheinlich, aus anderen Gründen, auch das vierte: "Warum macht Sex Spaß?"von 1998). Kinder sind für Diamond die treibende Kraft für Erwachsene, sich auch um eine fernere Zukunft Gedanken zu machen. Bill und Melinda Gates hätten ihre milliardenschwere Stiftung nicht ohne Nachwuchs gegründet, sagt Diamond. "Und auch mancher Unternehmensführer ändert sein Verhalten. Ich kenne Beispiele, da fragten Kinder ihren Vater, was er denn in seiner Firma macht. Sie sagten dann: ,Das ist ja ekelhaft, schämst du dich nicht?', und der Vater mußte umdenken." Während "unser braver Präsident" trotz zweier Töchter den Selfmade-Geographen "immer wieder zur Verzweiflung treibt", bezeichnet er sich doch als vorsichtigen Optimisten. Und nennt positive Beispiele: aus der Vergangenheit etwa das Japan der Togukawa-Periode, das es schaffte, sowohl die Bevölkerungsexplosion zu stoppen als auch die Entwaldung, die im 17. Jahrhundert bedrohliche Ausmaße angenommen hatte - alles durch vorausschauendes politisches Handeln. Optimistisch stimmen ihn neben dem spendenfreudigen Computerschrauber aus Seattle unter anderem Ölfirmen wie Shell und Chevron, die in den vergangenen Jahrzehnten weitsichtiger und umweltbewußter geworden seien. "Ich spreche in meinem Buch immer wieder von den zwei Pferden , die die Welt in zwei Richtungen ziehen, Zerstörung oder Bewahrung." Auch moderne Technologie, einer der gegenwärtigen Unterschiede zu den historischen Beispielen, trage diesen Dualismus in sich: zerstörerische Bulldozer und Atomraketen gegen Windkraftanlagen, Brennstoffzellen und Laptops für Afrika. "Kollaps" hat in Diamonds Heimatland gemischte Kritiken bekommen. Die New York Times mahnte Diamond, er habe ja gar nicht einberechnet, daß die Menschen bald in fremde Galaxien vorstoßen und so ihre ökologischen Probleme zurücklassen könnten. Andernorts wurde ihm angekreidet, die Schlüsse, die er aus unsicheren historischen Daten und noch unsichereren archäologischen Hinweisen ziehe, seien nicht gerechtfertigt. "Man darf natürlich keine zu detaillierten Schlüsse ziehen, aber ich glaube im Unterschied zu vielen Historikern schon, daß man aus Geschichte etwas lernen kann, das praktische Bedeutung hat", sagt Diamond. Wichtig sind für ihn zwei Aspekte: einerseits die Rolle der oberen Schichten. Wenn diese sich vom Rest der Gesellschaft abgrenzten, sei das Unheil fast programmiert. Andererseits die Bereitschaft von Gesellschaften, Grundprinzipien neu zu durchdenken, Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen. Die europäische Staatengemeinschaft etwa sei Ergebnis eines solchen Umdenkens. Diamond läßt es sich nicht nehmen, das gesamte Gespräch auf deutsch zu führen, wie 1961, als er erstmals nach Deutschland kam, "da weigerte ich mich ein halbes Jahr lang, auch nur ein Wort Englisch zu sprechen." Er lebte in München, weil er "Bier trinken, deutsche Weine kennenlernen und in die Berge gehen" wollte. Sein selten praktiziertes und deshalb langsames, aber grammatikalisch fehlerfreies Deutsch hat einen bayerischen Akzent. In München fühlt sich der geborene Bostoner noch heute so zu Hause wie in Montana oder Neuguinea. In den Alpen habe er immer Thomas Mann dabeigehabt, er liebe die Texte Goethes und Bismarcks. Und Musik: Bach, Brahms, Hugo Wolf. In den letzten Jahren, "weil die Kinder Teenager waren", konnte er selbst kaum Musik machen. Vor wenigen Wochen sind beide aufs College und damit aus dem Haus. Das Klavier wird jetzt wieder häufiger erklingen, auch um den Trennungsschmerz zu bekämpfen. Einer seiner Söhne will übrigens amerikanischer Präsident werden - oder zumindest Biologe mit der Spezialrichtung Naturschutz für Frösche. In beiden Jobs wäre es nicht schlecht, wenn er ein bißchen auf den Papa hören würde. Jared Diamond: "Kollaps". S. Fischer Verlag, 22,90 [Euro]. Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.10.2005, Nr. 41 / Seite 73 |
Nachtrag 2 August 2007: Jared Diamond hat 1987 einen ässerts interessanten Artikel über den Unterschied zwschen steinzeitlichen Jägern/Sammlern und neuzeitlichen Argrar-/Industriegesellschaften geschrieben. Siehe ecostory 76-2007: Growthquotes on-line rückmeldung ans ZDF 21.10.2005 ZDF Redaktion Aspekte Postfach 4040 55100 Mainz Guten Tag, Ich stiess, über einen Artikel in der NZZ am Sonntag vom 16.10.05, auf diesen Herrn Diamond. Ich basiere mich darauf und werde demnach das Buch nicht lesen. Warum? Weil der Herr Diamond die üblichen zwei Riesenfehler macht. 1. Er vermischt Ökologie mit Ökonomie und Politik. 2. Er lässt sich durch oberflächliche "Erfolgs"-Berichte einlullen. Das Erwähnen von Rio Tinto, oder Shell oder Billy Gates oder auch Kyoto als Hinweis darauf, dass wir optimistisch sein können ist eine völlige Verkennung der Ernst der Lage. Sein Buch muss deswegen in die lange Reihe der mentalen Selbsbefriedigungswerke eingereiht werden. Sie schaden unseren Zukunftschancen. Wieso das? Kyoto, zum Beispiel. Wenn das Kyoto-Protokoll je eine Wirkung zeigt, was bezweifelt werden muss, erbringt es höchstens 1 Prozent der wirklich notwendigen Kohlenstoffausstossverringerung. Rio Tinto ist einer der Mitgliedfirmen der World Business Council for Sustainable Development mit Sitz in Genf, ein Club der Ökologie für Public Relations verwendet. So lange Herr Diamond und andere Herren und Damen nicht verstehen, dass die Welt kein Wirtschaftswachstum erträgt sondern sehr dringend ökonomisch gesundschrumpfen muss, sind Hopfen und Malz verloren. Vergleiche mit der Osterinsel ist sowieso ein alter Hut. Das Beispiel erneut anführen mag gut sein. Aber es ist sträflich, daraus nicht die letzte Konsequenz hervorzuheben, dass es die Ressourcen, die Grundstoffe, sind, die unwiederbringlich verloren gehen. Herr Diamond will's, so scheint's, nicht mit den Mächtigen verderben. Verlorene Mühe. Es sind nämlich gerade die Mächtigen die in ihrem ideologisch eingeengten Bewusstsein verlernt haben, die Wirklichkeit noch wahrzunehmen. Leute, die wirklich wissenschaftlich konsequent über die Endlichkeit unserer Grundstoffe und unsere weit überrissene Konsummengen geschrieben haben, sind z.B. William R. Catton Junior in "Overshoot" (1982) oder auch Ted Trainer oder Herbert Gruhl. Links zu Auszügen aus deren Schriften finden Sie auf meiner Seite ecoglobe. Bei mir finden Sie auch eine Wachstumstabelle, welche sich alle Leute, die sich immer noch nach mehr Wachstum sehnen, zu Gemüte führen sollten. So, das sollte vorerst genügen. Mit freundlichen Grüssen ... Helmut Lubbers Die Reaktion eines Freundes: Habe den ZDF Text zu Diamond gelesen. Bist du nicht etwas überscharf in deiner Kritik, die du ihm schreibst? Man kann ja nicht alles nur auf einen Punkt reduzieren, muss auch Gründe und Lösungsmöglichkeiten erwägen. Heute sind wir ja gerade in einer Phase wo alle die Augen verschliessen und das beschreibt er ja genau bei diesen Grönländern. Dies sind doch Hinweise, Hilfen, wie wir uns vor der Katastrophe bewahren können. Noch kein fertiges Rezept... und die Antwort: Lieber Reinhard, herzlichen Dank für deine Post und Mail. Sie geben mir immer willkommene Anstoesse. Nein, ich bin nicht zu scharf. Wenn man einerseits mit viel Aufwand (ich denke auf vielen Buchseiten) die Untergänge älterer Kulturen beschreibt, ist das gut. Aber danach auf einige lächerliche Public Relations Aktivitäten von der WBCSD.ch, Rio Tinto und Shell und die AIDS-Stiftung von Billy Gates als Gründe für Optimismus hinweisen ist welt- und realitätsfremd. Es gibt in Holland ein Sprichwort das besagt "Weiche Ärzte schaffen stinkende Wunden." Wenn man dem Volk weiterhin solche Märchen auftischt, im Sinne von "man sei doch dran etwas zum guten zu tun", macht man die Sache immer schlimmer. Rio Tinto und Shell sind Corporations, die nur eines im Sinn haben: Geld verdienen und Ressourcen abbauen. An der mit grossem Aufwand betrieben Städtetagung in Genf, letzte Woche, trat als Hauptrednerin eine Dame von DuPont auf. Was für eine gute Firma man doch sei und alles im Interesse des "nachhaltigen Wachstums". Dupont ist ein Aushängeschild dieser WBCSD. Dass Wachstum nicht nachhaltig sein kann, die Wachtstumpolitik jedoch gesellschaftlichen Selbstmord bedeutet, versteht man/frau noch nicht. Nochmals, ja, ich bin scharf. Aber Kyoto als Hoffnungsschimmer anführen, ein Protokoll dass Ihre Ziele nie erreichen wird und dessen Ziele sowieso nur ein Prozent der notwendigen Ausstossverringerung bringen würde, zeugt von wenig konkretem Wissen. Und es schadet weil es die Leute dazu verführt, weiterzuschlafen. Gründe und Lösungsmöglichkeiten erwägen, ja. Aber es sind die alten Scheinlösungen, welche die Krankheit verschlimmern. Es wird ja alles gut werden... Freundliche Grüsse ... Helmut ecoglobe - Nachhaltigkeit Ihre Reaktion - votre réaction |