Genève/Genf, 18. März 2004
Frau Sabina Müller,
Mediensprecherin Nationales
Programm zur Tabakprävention
Bundesamt für Gesundheit
CH-3003 Bern
Neue Tabakverordnung
Sehr geehrte Frau Müller,
Ich danke Ihnen bestens für Ihre Email vom 1.3.04, wovon ich einfachheitshalber eine Kopie beilege. Ich reagiere vielleicht etwas spät, aber die Sache ist deswegen nicht weniger wichtig. Leider habe ich keine grosse Organisation hinter mir stehen und muss vieles selber machen. Als vollständig unabhängige Organisation ist ecoglobe jedoch in der Lage, nur ihrem Gewissen zu folgen und dementsprechend Sachen unverblümt auf den Tisch zu bringen.
Nun zur Sache der neuen Tabakverordnung und der Vernehmlassung.
In meiner Email fragte ich nach den Überlegungen, die zum vorliegenden Entwurf geführt haben und nicht nach den Ergebnissen der Vernehmlassung, wie man aus Ihrer Antwort folgern könnte. Das Bundesamt für Gesundheit und besorgte Bürger ziehen im Prinzip am gleichen Strick und deswegen ist Offenheit angebracht. Die Manipulationen der Tabaklobby sind bekannt und man kann mutmassen, ob und in wiefern diese beim Entwurf eine Rolle gespielt haben. Deswegen bitten wir Sie erneut um Auskunft darüber, wer jene "juristischen und wissenschaftlichen Experten" sind, welche diese Verordnung geschrieben haben. Da wurde nämlich eine Verordnung in die Vernehmlassung geschickt, die in verschiedener Hinsicht schlechter ist als die vorherige und also einen Rückschritt im proklamierten Kampf gegen die Tabaksucht bedeutet.
Ihre Pressemitteilung zu Beginn der Vernehmlassung (Philippe Vallat, 20.7.2003) sowie Ihre Erläuterungen zur Vernehmlassung sind oberflächlich und gehen an wesentlichen Punkten völlig vorbei. Nur jemand der sich in der komplizierten Verordnungsmaterie auskennt, kann erkennen, dass nunmehr Süssstoffe als Zusatzprodukte für Zigaretten erlaubt werden sollen. Nur dank der Aufmerksamkeit anderer und der Medien ist dies ans Tageslicht gekommen. Als Ökologiegeneralisten konnten wir es jedenfalls in der Verordnung nur versteckt im Absatz
"Bedingt durch Änderungen der Lebensmittelverordnung (LMV, SR 817.02) und der Verordnung über die in Lebensmitteln zulässigen Zusatzstoffe (ZuV, SR 817.021.22) im Jahr 2002, muss Absatz 2 Buchstabe a in formeller und terminologischer Hinsicht angepasst werden."
vermuten.
Sachkundige aus der Gesundheitsvorsorge sagten uns, es sei ein regelrechter Skandal, dass das BAG eine solche Neuerung in den Entwurf hineingenommen hat. Was bis anhin verboten war soll nun plötzlich erlaubt sein, wohl in gescheiter Nachfolge der Erfahrungen mit den Alkopops. Ein Geschenk an die Tabakindustrie? Oder an die Gesundheitsindustrie, damit auch den ÄrztenInnen und der Krebsbehandlung die Arbeit nicht ausgeht? Alle wissen um die Anziehungskraft von Neuem und von Süssem. Nur Ihre verordnungsmachende Experten wissen das nicht? Das Volk jedoch sollte wissen, wer diese Ihre Experten sind, worfür es seine Steuern zahlt.
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an: Bundesamt für Gesundheit, 3003 Bern 18. März 2004, Seite 2 / 3
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das geplante Verkaufsverbot von Tabakwaren an Jugendliche. Auch hier haben Ihre "Experten" von Verkaufspsychologie anscheinend keine Ahnung. Ein Verkaufsverbot für Jugentliche passt haargenau ins Konzept der Tabakindustrie, die sehr wohl weiss um die Anziehungskraft des Verbotenen. Diese verlogene Industrie manipuliert seit Jahren mit dem fadenscheinigen Argument der sogenannten "bewussten oder freien Wahl" zum Rauchen. Alles andere ist wahr. Leute werden mit lügnerischer Werbung zum Rauchen verführt. Dabei sind Jugendliche das erste und hauptsächliche Ziel, was die Industrie in internen Dokumenten sogar sagt. Ein Verkaufsverbot ist sowie auch nicht durchsetzbar.
Dies führt zum dritten wichtigen Punkt, der Werbung. Ihre neue Verordnung soll nur Werbung verbieten, die sich an Jugendliche richtet. Das ist ein absolut indurchführbares Vorhaben. Eine jede Werbung beeinflusst auch Jugendliche. Hier sind die BAG-Tabakexperten voll auf die Linie der Tabakindustrie eingeschwenkt. Die Industrie ist auf die jugendlichen AnfängerInnen angewiesen. Die Jugend ist ihr Nachwuchs. Werbung wirbt mit den Reizen und Freiheiten des Erwachsenenseins. Dafür sind unsere Kinder vollempfänglich. Es ist schleierhaft, wieso Ihre Experten dies nicht berücksichtigen. Aus gleichem Grund muss Ihre Bemerkung "Das NPTP 2001-2005 sieht als weiteres Ziel vor, dass die Werbung und Promotion der Tabakindustrie sich ausschliesslich an Konsumierende richtet." in den Erläuterungen beanstandet werden. Eine solche Werbung der Tabakindustrie ist komplett inexistent und das NPTP 2001-2005 ist in dieser Hinsicht also sträflich industriegläubig.
Ein allgemeines und vollumfängliches Werbe- und Sponsorverbot in all ihren bekannten und noch unbekannten Formen hat nach Erfahrungen in anderen Ländern eine grosse Wirksamkeit. Auch Firmenlogo, Schrifftart und Farbe bilden Teil des Brandings (des Rufs einer Marke).
Gesundheitswarnugen wirken auf Jugendliche und Erwachsene bis etwa 35 kaum. Im Gegenteil. Die kanadischen Zigarettenschachteln wurden bereits zu Sammlerobjekt. Es gibt eine englische Zigarettenmarke, die "Black Death" heisst und einen Totenkopf auf der Packung zeigt. In Deutschland floriert bereits eine Industrie, die Hüllen verkäuft, um die Packungen mit Warnung zu verdecken. Die Angabe von Teer- und Nikotingehalt bleibt, auch wenn die Messmethoden aktualisiert werden, eine Werbemöglichkeit. RaucherInnen passen ihr Rauchverhalten dem Nikotingehalt an, damit sie ihre gewohnte Menge bekommen, wie Sie in Ihren Erläuterungen selber schreiben. Die Angaben über Teergehalte u.s.w. muss also aufgegeben werden, weil sie nutzlos sind und nur eine Werbemöglichkeit hergeben.
Um die Werbung völlig einzuschränken muss eine Zigaretten- oder Zigarrenpackung für alle Marken gleich aussehen, mit ganz gleicher Schriftart und Schriftgrösse für alle. Die Farben könnten schwarz auf weissem Grund sein, möglichst unauffällig, damit man unter keinen Umständen damit prahlen kann.
Viertens müssen unsere Behörden endlich mit der Absurdität Schluss machent, dass Tabakwaren unter Nahrungmittel fallen. Dümmeres gibt es kaum noch. Auf der BAG Webseite findet man Tabak, nach einigem Suchen, richtigerweise im Themabereich "Sucht und Drogen". Warum dieser Umstand im Gesetzes- und Verordnungsbereich nicht längst auch der Fall ist, ist rätselhaft. Wir, d.h. die BürgerInnen und unsere Exekutivbehörden würden der gesellschaftlich erzeugten Krankheit des Rauchens dann doch viel effizienter entgegentreten können.
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an: Bundesamt für Gesundheit, 3003 Bern 18. März 2004, Seite 3 / 3
Ihre Erläuterungen zur Vernehmlassung widmen den Warnhinseisen und Schadstoffangaben den grössten Platz. Dies obwohl Warnhinweise bekanntlich nicht wirksam sind und die Schadstoffangaben eine Werbemöglichkeit darstellen. Neu soll sogar auch der CO2-Gehalt angegeben werden. Und die Kosten sollen nicht auf die RaucherInnen abgewältzt werden, schreiben Sie, alsob dies ein Vorteil wäre. Hohe Preise sind jedoch eines der wirksamen Mittel um vor allem Jugendliche vom Rauchen abzuhalten.
Andererseits verlieren Sie in der Erläuterung kein Wort über den Schutz der Normalatmenden vor dem Tabakrauch. Nach unserer Meinung kann die Jurisprudenz den Geltungsbereich des Umweltschutzgesetzes von 1983 bezüglich schädlicher Gase auf Tabakrauch anwendbar erklären. Dann ist die Mehrheit der Bevölkerung in einem Schlag vollumfänglich gesetzlich gegen den Rauch geschützt. Auch den RaucherInnen, wovon die grosse Mehrheit gerne aufhören möchte, wird damit geholfen. Die Ausweitung der Normalluftbereiche (rauchfreien Bereiche) hilft allen und ist sehr Kosteneffizient und leicht durchsetzbar. Für Auszüge der relevanten Artikel des Umweltschutzgesetzes siehe unsere Webseite http://www.ecoglobe.org/nz/tobacco/legis-ch.htm.
Zum Schluss will ich eindringlich davor warnen, dass die Behörde und die PolitikerInnen aller Schattierungen sich den lügnerischen Argumenten der Tabakindustrue zu eigen machen. So zum Beispiel, dass die Werbung nur dem Kampf um Marktanteile dient. Auch müssen KundInnen nicht am Verkaufsstand (Kiosk) über die Produkte orientiert werden, wie Herr Zeltner einmal auf Ihrer Webseite schrieb. Die Tabakindustrie weiss: ihre KundInnen sind - einmal süchtig - extrem Markentreu. Und das Argument des drohenden Verlustes an Arbeitsplätze ist ebenso verlogen, in einer Wirtschaftordnung, wo die Unternehmensführer mit einem Federstrich ganze Industriezweige töten weil man im Ausland billiger produziert. Für das Land als ganzes ist die Tabakindustrie ein Riesenverlustgeschäft, weil die wirtschaftlichen Schäden weit höher sind als die Gewinne aus der Branche. Auch die von der Koalition der Werbefirmen beklagte Freiheit der Meinungsäusserung ist kein stichhaltiges Argument. Die Tabakwerbung muss nicht als Meinungsäusserung sondern als Irreführung und Lüge qualifiziert werden.
Ich möchte auch noch an die verfassungsmässige Pflicht erinnern, nach Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Gesellschaft un Staat beizutragen (BV Art. 6). Wenn Ihre Expertenkräfte der Aufgabe nicht gewachsen sind, worauf vieles hindeutet, sollten sie ausgewechselt werden.
Obiges ist eine unvollständige Reihe von wichtigen Anmerkungen in der gemeinsamen Sache der Gesundheitsvorsorge. Vielleicht hab ich bei der Paragraphen-Lektüre etwas übersehen. Aber das soll meinem Anliegen keinen Abruch tun. Ich habe diesen Brief als offenen Brief auf meiner Webseite ecoglobe.ch veröffentlicht und ich werde alles was mir möglich ist tun, um das Inkraftsetzen der neuen Verordnung in der vorliegenden Form zu verhindern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und möchte Sie bitten, diesen Brief der betreffenden Abteilung vorzulegen. Ich danke im Voraus für Ihre sachgemässen Antworten.
Mit freundlichen Grüssen,
Helmut E. Lubbers
cc: DRS1 - Echo der Zeit; FACTS;
Vernehmlassung Tabakgesetz 2014-2016 | ecoglobe pages sur le tabac
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