ecostory 26-2004 - Saufen bis zum Umfallen

Saufen bis zum Umfallen

von Christian Esser, Mia Raben, Katja Sodomann, Ulrich Stoll, 01.06.2004 Frontal 21 ZDF www.zdf.de

Alkoholismus bei jungen Mädchen
Besonders Mädchen spricht der süße Geschmack von Alcopops an.


Vor allem Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren greifen immer öfter zur Flasche. Die Zahl derjenigen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht.



In Herford herrscht Partystimmung. 3.000 Jugendliche tanzen und trinken bis in den Morgen. Mit dabei sind die so genannten Alcopops - süß schmeckende Drinks mit Wodka, Tequila oder Rum. Hochprozentiges ist gefragt.

Bei unserer Umfrage sind die Jugendlichen sich einig: "Schmeckt gut.", "Ja, manchmal trinken wir auch härtere Sachen oder so. Aber meistens Bier und Alcopops."

Bis zum Vollrausch
Als Einstiegsdroge Alcopops und später folgt Härteres. Immer früher greifen Jugendliche zum Alkohol, oft bis zum Vollrausch. Mit 14 Jahren war jeder Zweite schon einmal so richtig besoffen.

Den ersten Vollrausch hatten auch Carl und sein Freunde mit 14 Jahren. Die Berliner Jungen warteten auf eine S-Bahn, um zu einer Party zu fahren. Schon auf dem Bahnsteig leert Carl eine Flasche Wodka zur Hälfte. Er trinkt auf der Party weiter, bis er zusammenbricht.

Diagnose: Alkoholvergiftung
Carl"Dann habe ich da eben angefangen, zu kotzen", erzählt Carl. "Ich konnte nicht mehr aufhören, und dann kam irgendwann mein Vater. Das habe ich nicht mitgekriegt und dann kam irgendwann auch noch der Krankenwagen."

Die Diagnose in der Notaufnahme: Alkoholvergiftung. Carl muss im Krankenhaus ausnüchtern. Der Zwischenfall vor neun Monaten hat ihn nicht sonderlich beeindruckt. Es ist kein Grund zum Aufhören. Carl: "Hinterher ist es irgendwie lustig, wenn man einen Absturz hatte. Ich weiß zwar nicht wieso, aber es ist dann lustig. Ich trinke auch, weil es Spaß macht, weil man cool drauf ist. Man kann viele Sachen machen, weil man dann hemmungsloser ist."

Besoffen sein ist cool
Ludwig KrausGezieltes Trinken bis zum Absturz - das gilt als cool. Für eine Studie wurden 11.000 Schüler zu ihrem Alkoholkonsum befragt. Das Ergebnis: Immer früher haben Jugendliche Rauscherlebnisse mit Alkohol.

Dr. Ludwig Kraus vom Münchner Institut für Therapieforschung über die Studie: "Im Rahmen dieser Befragung konnten wir feststellen, dass circa 50 Prozent der Jugendlichen schon bis zum 14. Lebensjahr einmal betrunken waren. Bis zum 16. Lebensjahr gaben dann fast 80 Prozent der Jugendlichen an, ein Rauscherlebnis schon gehabt zu haben."

Alarmierende Studie
Graphik: Klinikaufenthalte nach Alkoholmissbrauch
Die neueste Studie der Gmünder Ersatzkasse ist noch alarmierender: Immer mehr Jugendliche müssen wegen Alkoholkonsums ins Krankenhaus. Vor zehn Jahren waren es noch 3.060 Jungen zwischen 15 und 19 Jahren, im Jahr 2003 wurden 6.600 Jungen behandelt. Und bei den Mädchen verdreifachte sich die Zahl der Klinikaufenthalte sogar - von 1.470 auf 4.300 Fälle. Für viele begann der Absturz mit Alcopops.

Wir fragen beim Bundesverband der deutschen Spirituosen-Industrie nach: "Fühlen Sie sich da verantwortlich?" "Eine unmittelbare Verantwortung eines Herstellers für diesen Missbrauch ist nicht vorhanden", so Holger Ziekesch. "Wir fühlen uns in dem Falle nicht dafür schuldig, denn wir verkaufen nicht direkt an die Endverbraucher. Wir verkaufen über den Handel, über die Gastronomie. Das sind unsere Kunden und da müssen sich alle an die Spielregeln auch halten."


Alcopops-Konsum hat sich vervierfacht
Elisabeth Pott"Wenn Produkte auf den Markt gebracht werden, die sich ganz gezielt an Jugendliche in der Geschmacksrichtung, in der Vermarktungsstrategie wenden, dann hat natürlich der, der die in den Markt bringt, auch eine Mitverantwortung", meint dagegen die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Dr. Elisabeth Pott.

Der Alcopops-Konsum der Jugendlichen hat sich in nur fünf Jahren vervierfacht. Dabei dürfen sie die süßen Mixgetränke gar nicht kaufen. Vor allem Mädchen, die meist Alkohol wegen des Geschmacks nicht mögen, stehen auf die süße, gefährliche Alternative zu Bier und Schnaps.

Das zeigt auch unsere Befragung unter den Jugendlichen: "Was schmeckt Dir daran denn besonders gut?" "Dass das nicht so nach Alkohol schmeckt", so die Antwort. Und weiter: "Das ist halt ein bisschen süßer als Bier und schmeckt nicht so ganz bitter, und es geht leichter runter."

Ulrich Zimmermann

Süße Einstiegsdroge
Ulrich ZimmermannDer Suchtforscher Ulrich Zimmermann hat das Erfolgsgeheimnis der Alcopops untersucht. Er experimentierte mit Ratten. Tiere, die Alkohol wegen seines Geschmacks niemals anrühren würden: "Wenn man möchte, dass die Ratten trotzdem Alkohol zu sich nehmen, verwendet man den Trick, dass man ihn mit Zucker vermischt. Dann schmeckt der Alkohol süß, das mögen die Ratten. Im Laufe der Zeit reduziert man den Zucker. Mittlerweile haben die Ratten die Wirkung von Alkohol kennen und schätzen gelernt und trinken dann auch den reinen Alkohol ohne Zucker."

Nadine fand mit elf Jahren Geschmack an der süßen Einstiegsdroge. Jetzt, mit 13 Jahren, ist sie in der Suchtklinik gelandet. Davor lagen zwei Jahre voller Parties im Vollrausch. Jedes Wochenende gemeinschaftliches Saufen bis zur Bewusstlosigkeit. Nadines Eltern waren mit ihrer Trennung beschäftigt und bemerkten nicht, dass ihre Tochter kaum noch zur Schule ging.

Endstation Suchtklinik
Nadine hat mit 13 Jahren bereits eine Alkoholkarriere hinter sich
Nadine Nadine erzählt: "Wenn eine Party war, habe ich ziemlich viel getrunken, mindestens so 14 Bierflaschen. Dann habe ich fast eine Wodkaflasche so ausgetrunken, noch eine halbe Bacardi-Flasche und dann war ich auch schon ziemlich weg, ziemlich besoffen."

Zum Alkoholentzug kam Nadine in die Suchtklinik Teen Spirit Island in Hannover. Die Jugendlichen hier sind alkoholkrank, leiden schon an Konzentrationsstörungen. Keiner von ihnen hatte Probleme, an Spiruituosen heranzukommen, die erst ab 18 verkauft werden dürfen. "Einmal habe ich mir zwei Träger Bier geholt, dann zwei Wodkaflaschen, eine Bacardi-Flasche und Saurer Apfel", so Nadine. "Man hat mich auch nie nach dem Ausweis gefragt oder mich doof angeguckt, sondern man hat es einfach nur eingetippt. Dann habe ich Geld hingegeben und bin rausgegangen."

Sondersteuer auf Alcoholpops
Jugendliche können problemlos Alkohol kaufen
Jugendliche kaufen
Trotz Verbot: Jugendliche können problemlos auch harte Spirituosen kaufen. Ob eine Sondersteuer die Enstiegsdroge Alcopops für Jugendliche unattraktiv macht, ist mehr als fraglich. Die Spirituosenhersteller setzten weiter auf die süßen Mixgetränke, die Jugendliche schon früh für Alkoholismus anfällig machen.

Frontal21 fragt beim Bundesverband nach: "Bedauern Sie es, Alcopops auf den Markt gebracht zu haben, weil sie ja dazu geführt haben, dass Jugendliche unter 18 Jahren verstärkt dazu greifen?"

Hersteller verweigern Verantwortung
Holger Ziekesch"Wir bedauern das nicht", so Ziekesch. "Wir bedauern, dass es eine Steuer auf ein Produkt gibt, für ein kleines Segment und die Leute, die verantwortungsbewusst umgehen, die werden durch diese Sondersteuer bestraft. Wir unterstützen jede Möglichkeit und jede Information, dass es nicht mehr möglich ist, dass Jugendliche unter 18 Jahre diese Sachen erhalten."

Von ihrer eigenen Verantwortung wollen die Hersteller nichts wissen. Verantwortlich seien nur Eltern und Verkäufer. Die Opfer sind Kinder und Jugendliche. Die Verführung bleibt, die Party kann weitergehen.

Quelle: ZDF Frontal 21

Die gleichen schlimmen Folgen müssen erwartet werden, falls in der Schweiz die auf den 1.7.2004 geplante neue Tabakverordnung die Vermarktung von Zigaretten mit Süssstoffen zulassen wird.
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