FACTS Vieles läuft über die Schweiz

KRIMINALITAT

Vieles läuft über die Schweiz

lm Milliardengeschäft Schmuggel kennen Tabakkonzerne und kriminelle Organisationen keine Berührungsangste.

CHAMPAGNER UND FEUERWERK zum Sonnenuntergang. ln gediegener Atmosphare trifft sich alljahrlich Ende Oktober in Cannes die Tax-free-Branche. An der Jahresmesse des Branchenverbandes TFWA (Tax-free World Association) geben sich Zigarettenproduzenten, Alkoholika-Händler und Dutyfreeshop-Betreiber ein gemütliches Stelldichein. Doch im Schatten des glamourosen Events - bis heute nur in Ermittlerkreisen bekannt - treffen sich auch Zigarettenschmuggel-Bosse und Manager von Tabakkonzernen. ln den Salons und Hinterzimmern der Luxushotels wird vereinbart, wer nächstes Jahr wie viel Schmuggelzigaretten bekommt und zu welchem Preis. Das heimliche Gipfeltreffen ist der wichtigste Jahresanlass des illegalen Tabakhandels - ein immer brutaleres, hoch lukratives Mafiageschaft, in das Drogenbarone, Terrororganisationen und Bürgerkriegsparteien involviert sind.

Bis heute stellen Zigarettenproduzenten in Abrede, dass sie mit dem Schmuggel von Zigaretten etwas zu tun haben. Doch die Betrugsermittler der Europäischen Union (EU) wollen inzwischen beweisen können, dass die Tabakkonzerne den illegalen HandeI mit Zigaretten - jährlicher Steuerschaden sieben Milliarden Franken - gezielt fördern. ln einer in New York deponierten Klage wirft die EU namentlich dem Tabakkonzern RJ Reynolds vor, Zigaretten an kriminelle Organisationen zu verkaufen. Mehr noch: Der Konzern setze Zigarettenschmuggel aIs Geschaftsstrategie ein, Schmugglerbanden würden gezielt auf interessante Markte angesetzt.

Um den Schmugglern die Abwicklung der Geschäfte zu erleichtern, habe die inzwischen von Japan Tobacco International (JTI) übernommene Reynolds sogar die Firmenstrukturen angepasst. "Filialen wurden an Orten geschaffen, die bekannt sind fur ihr Bankgeheimnis, zum Beispiel in der Schweiz", behaupten die EU-Betrugsermittler. "ln der Schweiz wird der Zigarettenschmuggel organisiert und finanziert. Hier sitzen die Profiteure", sagt auch der deutsche Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Kolb, der intensiv gegen Schmugglerbanden aus dem Balkan ermittelt hat.

FAKT IST, DASS DIE TESSINER FIRMA Intercambi S. A. wahrend Jahren aIs Zahlstelle der Schmuggler funktionierte. Zum Geldwasch-System, das laut EU-Klage yom Tabakproduzenten RJ Reynolds konstruiert worden sei, gehörten auch Geldkuriere, Bankbeziehungen und Tarnfirmen. 550 Tarnfirmen, viele davon in der Schweiz, hat allein Staatsanwalt Kolb in seinen Ermittlungen gegen die Montenegro-Connection lokalisiert. Über dieses Untergrundsystem - vermuten Ermittler - würden auch die Erlöse aus Drogengeschaften gewaschen. Kolumbianische Kokainkartelle und Heroinbarone des Nahen Ostens könnten sich bei Tabakmultis mit Schmuggelware eindecken und so schmutziges Drogengeld ein erstes Mal waschen.

Zu den Begleiterscheinungen des Zigarettenschmuggels gehört die Korruption. Einen Teil ihres Profits - ein einziger Lastwagen mit Schmuggelzigaretten bringt 1,5 Millionen Franken - setzten die Schmuggler ein, um die verbotenen Geschäfte abzusichern. So wurde im Mai 2002 Franco Verda, Ex-Richter und Präsident des Tessiner Strafgerichts, wegen mehrfacher passiver Bestechung verurteilt. Er solI Schmuggelboss Gerardo Cuomo begünstigt und von ihm über eine Million Franken Bestechungsgelder angenommen haben. Auch der Ex-Chef der Kriminalpolizei Chiasso, Leonardo Ortelli, stand auf der Lohnliste einer Schmugglerbande. Für Informationen über Hausdurchsuchungen und Haftbefehle kassierte er 370000 Franken.

Unbestechliche Ermittler hingegen leben gefährlich. So fand die Polizei im Büro eines Schmuggelpaten in der Schweiz ein Personendossier über den deutschen Staatsanwalt Kolb. Die Mafiapaten hatten sich neben Fotos vorsorglich auch persönliche Angaben und die Adresse des Ermittlers beschafft. Martin Stoll

VERDACHT: Beamte des Europaischen Amts für Betrugsbekampfung (OLAF.) und Polizisten bei einer Kontrolle.

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    Quelle: FACTS - Das Schweizer Nachrichtenmagazin - 6.11.2003

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